MICHAEL GRIEME STORY UPDATE: 03-07-2005
Fahren wie ein König – die Wiederentdeckung einer Leidenschaft
Die erste Verzauberung
Es war die Zeit, in der ich denken lernte, gegen Ende der 60er Jahre. Es gab
viel zu entdecken
und alles war interessant: Raketen, Flugzeuge, Autos, Eisenbahnen und Schiffe.
Je schneller,
desto faszinierender. Zum Glück war mein Vater Ingenieur. Auch wenn er nichts
mit
Fortbewegungsmitteln
zu tun hatte, weil er „nur“ an Maschinen arbeitete, konnte er mir vieles
erklären:
wie eine Mondrakete auf Kurs bleibt und dabei immer schneller wird, wie Thor
Heyerdahl mit
einem Boot aus Schilfbündeln den Atlantik überquert hat, warum überhaupt ein
Schiff schwimmt
und ein Flugzeug fliegen kann. Warum ein Flugzeug dazu Energie braucht
und das
Schiff auch
dann nicht untergeht, wenn es sich nicht bewegt.
Wie ein Motor funktioniert und
dass es einen
ganz neuen Motor gibt, einen mit sich drehenden
Kolben, der erstmals nicht mehr
von der
Dampfmaschine abstammte.
Benannt nach einem klugen Mann am Bodensee, der ihn
ersonnen
hat: Felix Wankel.
Familienkäfer
Wir fuhren eines Sonntags mit unserem grünen Familienkäfer (an das Kennzeichen
erinnere ich
mich noch heute) auf einer Landstraße zu einem Ausflugsziel in unserer Gegend,
es könnte ein
Tierpark gewesen sein. Es hatte gerade geregnet, die Landschaft und die Straßen
waren nass
und glänzten in der Sonne, während die Sicht aus den hinteren Sitzen sich etwas
besserte. Wir
Kinder malten gern mit den Fingern Kreise und Figuren auf die beschlagenen
Innenseiten der
Seitenscheiben, während hinten unter uns der Boxermotor (wohl noch ein 1,2 Liter
mit 34 PS)
monoton dröhnte und der Familie damit seine Mühe kundtat, die er mit uns vieren
schon bei
leichten Steigungen hatte.
Plötzlich würden wir von einem UFO überholt. Der hupte auch noch ziemlich laut
und es saßen
winkende Leute darin, die offenbar meinen Vater kannten. Mehr konnte ich nicht
sehen, denn
nachdem der UFO vorbei war, waren die Scheiben außen wieder ganz nass und mein
Vater
musste die kleinen, hüpfenden Wischer wieder anmachen, damit man aus dem Inneren
des
kleinen VW überhaupt Sichtkontakt mit der Außenwelt halten konnte. Der UFO
blinkte nach
rechts und mein Vater folgte ihm auf einen kleinen Parkplatz, damals noch aus
Pflastersteinen
einfach hinter ein paar Bäumen und Sträuchern ohne Ausfädelspur angelegt. Das
Abholzen der
Alleen hatte wohl noch nicht begonnen. Wir stiegen aus.
Der Fahrer des UFO entpuppte sich als
der
ehemalige Chef meines Vaters, ein
freundlicher
Fabrikbesitzer alter Schule,
einer von denen,
die dieses Land nach dem
Krieg „mit eigenen
Händen“ wieder aufgebaut
hatten. Der UFO
war bei näherem Hinsehen
doch ein Auto, ein
funkelnagelneuer NSU RO 80,
scheinbar aus
einem Science Fiction,
jedenfalls nicht von dieser
Welt: Fremd und
schön und blendend weiß
stand er da, vorne
ganz flach und hinten hoch,
wie eine Katze vor
dem Sprung. Der Begriff
Keilform war uns
noch nicht bekannt, aber dass
dies eine völlig
neue, modernere Form war, die
bei keiner
anderen Limousine jemals zu sehen
war, das hätte auch meine liebe Oma sofort
erkannt, die
sich nicht für Autos
interessierte. Heute
weiß ich, dass es ein RO 80 der ersten Baujahre war,
optisch flacher und breiter
als alles, was
damals herumfuhr. Die Oma ist längst im Himmel
und kann von Ihrem „Fensterplatz“
aus sehen,
dass heute fast alle Limousinen eine solche
Form haben, ob mit Stern oder Niere
oder Blitz.
Erst als mein Vater den Käfer abgestellt hatte, hörten wir den Motor, den man
kaum hören konnte.
Wir stiegen aus und es gab eine freundliche Begrüßung der Erwachsenen. Völlig
ungläubig
ging ich mehrmals um diesen Schlitten herum: Alles glänzte, riesige bequeme
Sitze, kein lackiertes
Blech im Innenraum, sondern alles verkleidet und gepolstert, endlos Platz, vier
große
Türen, die mit einem satten Klang ins Schloss fielen (wie zuhause die
Kühlschranktür, in der
immer die braune Flasche mit dem ekligen Lebertran stand) und vorne jede Menge
Instrumente,
wie im Cockpit eines Flugzeugs. Ich weiß nicht, wie lange es dauerte, aber diese
entscheidenden
Minuten war ich mit dem Auto wohl allein.
Nachdem die Erwachsenen ihre Erinnerungen und Komplimente ausgetauscht hatten,
gab es
einen kurzen, aber herzlichen Abschied und schon hieß es „Einsteigen, Jungs!“,
also zurück in
die Falle zwischen den klappbaren Vordersitzen und dem Käfermotor, wo man gerade
mal das
hintere Ausstellfenster betätigen kann, um nicht an Klaustrophobie zugrunde zu
gehen. Oder
gab es diese Fenster erst später in unserem Opel Kadett? Die Erinnerung
verschwimmt. Also
mutmaße ich weiter: Während der Käfer noch über das Kopfsteinpflaster in
Richtung Straße
stolperte, rauschte der RO 80 leise davon. Schon bald war er außer Sichtweite.
Es war klar:
wenn du groß bist, kaufst du dir einen RO 80, dann bist du König von Deutschland.
Mein Vater sagte, dieses Auto würde 180 km/h schnell fahren, aber das war weit
außerhalb unserer
Vorstellungskraft. Die Autobahnsteigungen schaffte unser Käfer nur im dritten
Gang – da
fuhr man unter 100. Wir kannten solche hohen Geschwindigkeitsangaben nur aus
Quartettspielen,
wussten aber aus der gleichen Quelle, dass ein Mercedes 220S der Autobahnpolizei
in jenen
Jahren noch mit etwa 160 km/h unterwegs war. Das war wohl ausreichend, denn eine
RAF,
die sich des RO 80 als Fluchtauto bedient haben soll, gab es noch nicht.
Gut 10 Jahre Später, gegen ende der 70er durfte ich mit einem Schulkameraden
gelegentlich
mitfahren, wenn der von seinem Vater den Schlüssel von dessen orangefarbenen RO
80 „ausgeliehen“
hatte. Er fuhr entgegen seinem sonstigen Temperament und entgegen seinem
Engagement
in der Schule sehr „sportlich“ und ich wunderte mich über die Fahrsicherheit
dieses Wagens
insbesondere in schnell durchfahrenen Kurven. Es hat Führerscheinneulinge
gegeben, die
den ersten Geschwindigkeitsrausch mit dem Leben bezahlt haben, sie saßen
vermutlich nicht in
einem RO 80. Ich wüsste gern, was aus diesem Auto geworden ist. Vielleicht
bekomme ich
beim nächsten Klassentreffen darauf eine Antwort.
Die erste Erfüllung
Nachdem ich nach dem Abitur keinen Berufswunsch hatte (und auch noch nicht so
viel arbeiten
wollte), bot sich ein Ingenieurstudium an. Hier gab es ausgedehnte
Semesterferien, in denen
interessante Praktika in der Industrie einerseits Erfahrungen für das kommende
Berufsleben,
andererseits die Erwirtschaftung von etwas Einkommen für die Urlaubskasse
ermöglicht haben.
Diese Praktika waren mir schon nach kurzer Zeit wichtiger als das Studium selbst,
denn das war
voller Theorie und Theorien. Eine Ausnahme war die Vorlesung über
Automobildesign der
Nachkriegszeit, gehört beim damaligen Vorstandsvorsitzenden der Daimler Benz AG,
Herrn
Prof. Werner Breitschwerdt, an der ehrwürdigen Technischen Universität in
Karlsruhe. Es wäre
übertrieben, hier zu behaupten, dieser freundliche und sehr beschlagene Herr
hätte zu Beginn
der 80er Jahre für ein nicht mehr erhältliches Konkurrenzprodukt Werbung gemacht.
Nein, das
hat er nicht. Er hat gesagt, was nur mit Distanz und Größe möglich ist: Er hat
gesagt, die RO 80
- Karosserie sei wie keine andere ein epochales Meisterstück gewesen,
stilbildend für eine ganze
Generation von Automobil-Designern. Mehr nicht, aber auch nicht weniger. Claus
Luthe, der
Schöpfer des RO 80 – Designs war damals schon Chefdesigner von BMW. Die neueren
BMWs
bekamen langsam „den Hintern hoch“, ein Zugeständnis an die sich durchsetzende
Keilform.
Nach diesem Semester war also klar: Ein eigener RO 80 musste endlich her! Ich
hatte „die Taschen
voller Geld“ (vielleicht 5.000 Mark?!) und kaufte mir alle 14 Tage eine Auto
Motor & Sport,
um hier in den Kleinanzeigen fündig zu werden. Warum die Mehrzahl der Anzeigen
irgendwelche
Mercedes oder Porsche bewarben, aber nur eine Handvoll einen NSU RO 80, war mir
damals
nicht begreiflich. Ich dachte, ich muss wohl ein Individualist sein. Ich begriff
nicht, dass die
Abwehrschlacht der gesamten Branche gegen den Angriff einer „Handvoll Männer“ (Dieter
Korp)
längst entschieden war und dass im Gebrauchtwagenteil der Stuttgarter
Motorpresse nur seine
Proportionen wiederfand, was 15 Jahre zuvor die automobile Welt kurzzeitig in
Angst und
Schrecken versetzt hatte. NSU war gescheitert und hatte seine unternehmerische
Existenz verloren,
VW / Audi waren längst auf einem andern Weg (heute sagt am dazu „Mainstream“).
Die
Tage der Rubrik „NSU“ bei den Gebrauchtwagenanzeigen waren gezählt. Für „ams“
blieb die
Welt in Ordnung, denn in Stuttgart hatte es ja niemanden erwischt.
Einer in Marathonblau Metallic musste es sein, letztes Modell, mit Schiebedach,
und ich fand ihn
dann auch, einige hundert Kilometer entfernt, Baujahr ´76 zu einem Schandpreis –
noch dazu
mit einem stümperhaft reparierten Frontschaden. Ich war der glücklichste Fahrer
aller Zeiten,
auch wenn ich für die Überführung meine gesamte kriminelle Energie mobilisieren
musste, indem
ich statt diverse Behördengänge anzutreten, kurzerhand die Kennzeichen meines
Audi 80
montierte - Versicherungsbetrug und Steuerhinterziehung! Mea Culpa, aber
verjährt.
Die erste Ernüchterung
Das Auto hatte von Anfang an seinen eigenen Willen: Es sprang nur an, wenn es
wollte. Wenn
es nicht wollte, konnte ich orgeln, bis eine 66Ah - Batterie leer war - er
nützte nichts. Der Einbau
einer 88Ah – Batterie war sinnlos, nur das schlecht heruntergebogene Halteblech
für die Batterie
erinnert mich noch heute an diese Jugendsünde. Es gab in den 80ern noch einige „Spezialisten“
für den RO 80, also verpasste man mir grünem Neuling nacheinander eine „Schusskanal
–
Optimierung“, ein neues Zündgerät (wohl aus Fernost), diverse Additive und
Wunderöle - der
Motor starb trotzdem wie ein Krebskranker, bei dem keine Therapie mehr anschlägt.
Es folgten
die Käufe von 2 oder 3 Schrottfahrzeugen mit noch brauchbaren Motoren zum
Ausschlachten,
bis mir klar wurde: Ein RO 80 ist kein normales Auto. Ein solcher Wagen will
anders bewegt
werden, hier geht es nicht nur ums Gasgeben... und schon gar nicht im kalten
Zustand!
Trotzdem sind mir die nächtlichen Vollgasfahrten auf der A5 zu meiner damaligen
Freundin und
heutigen Frau und Mutter unserer Kinder in besonders schöner Erinnerung
geblieben, wenn
auch die dabei erzielten Verbrauchswerte nicht gerade zur Entlastung des
studentischen Geldbeutels
beitrugen. Auch in den 80ern war man mit dem RO 80 auf der Autobahn noch einer
der
schnellen - aber eben nicht mehr König, so wie es die Fahrer der ersten
Generation noch erleben
durften.
Etwa viermal um die Erde hat er mich
gefahren, bis ich ihn Anfang der 90er Jahre
stillgelegt habe. Es waren schöne Jahre,
voller Entdeckungen und langer Reisen auf
deutschen Autobahnen und einsamen
Nebenstraßen, in Frankreich, in der
Schweiz und in Italien. Im Hochgebirge
musste ich hin & wieder das Drosselventil
der Membranpumpe für die Kupplung
nachstellen, damit sie ihren Dienst in der
dünnen Luft nicht verweigerte. Nach einem
Einbruchversuch in Südfrankreich wurde
eine Seitenscheibe per Luftfracht nach
Marseille transportiert, die Kosten übernahm der ADAC – natürlich auch die
Hotelrechnung für
die 3 Tage Wartezeit bis zum Eintreffen der Scheibe. Es waren schöne Ferientage,
lediglich
getrübt durch den Anblick der provisorisch aufgeklebten Plastikfolie an der
Beifahrertür. Der
Einbau der Scheibe war dann wieder meine Sache und wurde routiniert direkt in
der Hoteleinfahrt
erledigt, während meine andere Liebe sich auf der Veranda der Mittelmeersonne
widmete.
Als ich Wasser im Öl hatte, war es ein Glückstreffer, wie ihn nur die Tüchtigen
haben, zuerst die
O-Ringe am Ölkühler zu überprüfen und auszuwechseln, natürlich am eingebautem
Motor.
Wenn die Kompression zur Neige ging und an kalten Tagen morgens die
Startschwierigkeiten
unüberwindbar wurden, hatte ich stets einen Satz Rasenmäherzündkerzen zur Hand,
um den
Motor durchzustarten und warmlaufen zu lassen. Das erneute Auswechseln der
Kerzen ging
dann flott von der Hand und war ein Ritual wie das Vorglühen eines Dieselmotors
geworden.
Die Werkzeugkiste war immer im Kofferraum. Den Spott der anderen ertrug ich
gleichmütig.
Meine Freundin hat damals wohl sehr gelitten, weil ich viel Freizeit schraubend
am RO verbracht
habe, um seine Verkehrstauglichkeit zu erhalten. Klar war, dass der RO
mittlerweile in
einem Zustand war, der eine berufliche Nutzung für den Weg in die Firma oder gar
für Kundenbesuche
verbot.
Einen Verkauf (wie beim Audi 80) habe ich nie erwogen. Obwohl ich in den
ersten Berufsjahren durch Immobilienkäufe und Familiengründung andere
finanzielle Belastungen zu stemmen hatte, ließ ich meinen RO 80 nicht
verrotten. Er bekam, was er nach 15 Jahren auf der Straße endlich
brauchte: Eine professionelle Entrostung, natürlich nicht ohne diverse
Reparaturbleche, eine Hohlraumkonservierung, eine Edelstahl –
Auspuffanlage und natürlich einen taufrischen Lack im immer noch sehr
ansehnlichen Originalton L96M (Marathon - Blau, was auch immer die
beiden Begriffe miteinander zu tun haben könnten) - um danach für über
10 Jahre in der Garage zu verstauben. Das Interesse war verflogen, oder
heute würde ich sagen: die Leidenschaft ruhte.
Vier oder fünf Geschäftswagen habe ich in der Zwischenzeit verschlissen, fast
alle in der 3-Liter-
Klasse. Keiner hat mich so bewegt wie der RO 80, keinen habe ich geliebt. Es
waren Maschinen
zur Fortbewegung, um Termine wahrzunehmen oder einfach von A nach B zu kommen.
Wichtiger
als die Bauart des Motors waren die Zuverlässigkeit, die Unterhaltskosten, die
Beschleunigung,
die Klimatisierung, die Qualität der Freisprechanlage für das nötig gewordene
Autotelefon.
Wenn sie etwa 4 mal um die Erde waren, wurden sie ausgetauscht. Beim jetzigen
hätte ich meine
Mühe, einen Liter Scheibenreiniger nachzufüllen – ich wüsste gar nicht, wo der
Einfüllstutzen
ist. Danach suchen kann ich auch nicht, denn ich weiß nicht so recht, wie die
Haube zum Öffnen
entsichert wird. Es interessiert mich auch nicht.
Die zweite Verzauberung
Ende der 90er sprachen die Kinder schon vom „alten Auto“, das da unter einer
dicken Staubschicht
in der Garage stand und einen so jämmerlichen Eindruck machte, schon seit
einigen
Jahren mit fast platten Reifen. Vielleicht 3 mal habe ich in dieser langen Zeit
die Motorhaube
geöffnet und am Keilriemen den Motor etwas gedreht, damit er gängig blieb. Zu
meinem 40ten
Geburtstag war es dann soweit: Ich rief bei Buchholz an und bat ihn, den RO 80
abzuholen und
durchzusehen. Ein Tag Urlaub reichte mir, um ihn gründlich zu reinigen und
wieder den Duft in
seinem Innern zu schnuppern: Eine Mischung aus Hohlraumwachs und Benzin, sehr
erotisierend
und voller Erinnerungen wie eine alte Schallplatte. Es vergingen lange Wochen,
bis Buchholz
endlich eine Fertigmeldung gab und ich konnte es nicht erwarten, am Steuer
meines RO 80
die 250 km lange Heimfahrt anzutreten. Schon nach wenigen Metern war alles wie
früher: Das
vertraute Singen des Motors, die immer noch beste Lenkung aller Zeiten, das
Wiegen in den
Kurven und das Gefühl, vom Wagen gezogen zu werden, nicht geschoben. Leider
fehlte es an
Fahrdynamik, oder war ich verwöhnt? Der Motor wirkte schlapp – hier gab es etwas
zu tun, um
den Fahrspaß zu steigern. Doch davon später mehr.
Seither weiß ich auch, was Standschäden sind
– nämlich teurer als mancher
kapitaler Motorschaden
oder sogar Totalschaden eines weniger gut erhaltenen
Exemplars. Wenn Sie aber
mit
der gebotenen Sorgfalt
und Liebe zum Detail aufgespürt und beseitigt werden,
wie
das bei
Buchholz scheinbar üblich ist, verhält sich auch
ein mittlerweile 27 Jahre alter
RO 80 als zuverlässiges,
alltagstaugliches Gefährt, das seinen Fahrer nicht stehen
lässt und von bösen
Überraschungen
verschont
– für mich eine völlig neue Erfahrung. Nicht nur mit dem RO
, sondern
auch
im Umgang mit Handwerkern. Saubere Arbeit.
Das Fahren am Steuer eines RO 80 im Jahre 2003 zieht Blicke von Passanten an.
Die meisten
sind älter als ich und wissen, was sie da vor sich haben. Junge Leute kennen
meist weder die
Marke NSU noch das Fahrzeug selbst. Wahrscheinlich vermuten sie einen
verchromten Opel
Omega aus den „kultigen“ 80ern und gehen ihres Weges. An der Ampel kommt es vor,
dass der
Fahrer im Auto nebenan seinem Beifahrer mit einer Kreisbewegung des Zeigefingers
auf dem
Lenkrad einen Wankelmotor zu erklären versucht. Und es gibt viele freundliche
Rentner, die
einen an der Tankstelle oder auf einem Parkplatz auf den Wagen ansprechen, oft
voller Wehmut
und mit Erinnerungen an die „gute alte Zeit“. Die Frage nach dem wievielten
Motor ist oft
dabei. Sie nicken anerkennend, wenn sie erfahren, dass der RO fast 300.000 km
hinter sich hat.
Das sieht man ihm nicht an. Entgegenkommende Oldtimerfahrer anderer Marken
grüßen fast
ohne Ausnahme. Einem anderen RO 80 begegnet man heute leider seltener als einem
Rolls
Royce. Wenn doch, dann ist das immer ein Grund, sofort anzuhalten und sich
auszutauschen.
Wäre das der einzige Kontakt zu Gleichgesinnten, würde die totale Vereinsamung
drohen.
Das Internet ist ein Segen
Das Internet ist ein Segen. Es ermöglicht den Informationsaustausch
und die Kontaktaufnahme mit anderen RO 80 Fahrern,
über alle Entfernungen hinweg, so einfach wie kein anderes Medium.
Wenn es eine Technologie gibt, die noch mehr verändert hat
als das Automobil selbst, so muss es das Internet sein. Es gibt
Ersatzteile, nach denen man sonst lange suchen müsste, jede
Menge Links, Clubseiten
(wenn auch leider nur
mäßig besucht), Bilder &
Storys, nette Leute mit fast
identischen Fahrzeugen nur
wenige
hundert Kilometer
entfernt. Sie zu treffen und
gemeinsam durch die
Gegend zu kurven ist ein ganz besonderes Vergnügen.
Trotzdem findet ein Gutteil der Wankelei heute am Computer
statt und nicht mehr in der Garage.
Angenommen, der Erstbesitzer eines RO 80 war vielleicht im Jahre 1973 auf der
Höhe seiner
beruflichen Kreativität, seiner Individualität und seines Geschmacks, etwa
vierzig Jahre alt oder
etwas älter, aber ohne alle Anzeichen von Alter. (Sonst hätte er diesen Wagen ja
nicht gekauft!)
Also ist er heute deutlich über 70 Jahre alt und freut sich, wenn er gesund
geblieben ist. Das
Autofahren wird ihm wahrscheinlich nicht mehr ganz so wichtig sein wie einem
Fritz B. Busch,
denn er wird ja nicht dafür bezahlt. Er gehört also nicht einer Generation an,
die mit ICQ oder
AIM groß geworden ist. Selbst das Öffnen einer Ersatzteilliste im XLS oder PDF -
Format dürfte
ihm schwer fallen, ganz zu schweigen vom Umgang mit eMails, digitaler Fotografie
oder der
Teilnahme an Auktionen und Foren im Netz. Er steht heute weitgehend abseits des
Geschehens.
Wir müssen ihn persönlich kennen, ansprechen und einladen, um seiner
Erinnerungen
und Erfahrungen habhaft zu werden. Die meisten kennen wir nicht, weil sie keinen
RO 80 mehr
haben. Vielleicht sieht das im harten Kern eines Clubs nicht ganz so trübe aus.
Warum steigen die Preise nicht? Weil die erste und zweite Fahrergeneration das
Autofahren
eingestellt hat und weit über 1000 erhaltenswerte Fahrzeuge zurückgelassen hat,
die meisten
innerhalb Deutschlands. Das sind vielleicht 5% der Gesamtproduktion, eigentlich
nicht viel – gut
35 Jahre nach der Premiere und 25 Jahre nach Serienauslauf. Aber wie soll man in
diesen Zeiten
dafür Käufer finden? Welcher autobegeisterte 30 – Jährige möchte einen NSU RO 80
fahren?
Ein Liter Normalbenzin kostet mittlerweile deutlich über einen Euro und jeder RO
80 - Fahrer
weiß, wie wenig 80 Liter sein können. Beim Dorfschmied um die Ecke kann man das
gute
Stück nicht reparieren lassen und die VAG – Werkstätten kennen sich nun wirklich
nicht mehr
damit aus. Selbst die Besitzer der wenigen Spezialwerkstätten sind in einem
Alter, in dem eine
Nachfolgeregelung zur Klärung ansteht. Wird sie nicht gefunden, ist die
Werkstatt bald zu. VW
tut weniger als nichts, um die Fahrer der alten NSU – Fahrzeuge bei der Stange
zu halten. Ein
RO 80 sieht noch nicht mal aus wie ein Oldtimer – und schon gar nicht wie ein
alter VW. Er ist
zwar der Vater fast aller modernen Limousinen, aber dafür ist niemand zuständig.
Es ist eine
Schande!
Der nicht bewältigte Generationswechsel drückt wie Blei auf die Preise,
und das wird in den nächsten Jahren noch schlimmer werden. Noch
trauriger dabei ist, dass ein Großteil der heute noch erhaltenswerten
Substanz mangels Wertschätzung der aktiven Generationen damit unweigerlich
der Verrottung preisgegeben wird.
Also wird gezielt investiert…
Ein Fahrer eines RO 80 der späten Serienjahre, der noch ein wenig
Geld übrig hat, möchte sich einen Wunsch erfüllen. Ein Citroen
DS? Vielleicht später. Ein BMW 2000 Tilux? Eine Borgward
Isabella? Nein! Meine Wahl fiel auf einen RO 80 der frühen
Serienjahre: Dickeres Blech von spürbar besserer Konsistenz,
original höhenverstellbare NSU - Sitze mit Chrombeschlägen,
wunderschöner Doppel-Flachstromvergaser mit aufwendigem
Gasgestänge (aus Messing?) und klassischem Choke, die
einmalige und für das typische „Wankelschnattern“ bekannte 2 –
Rohr - Anlage von Boysen und vor allem: Praktisch kein Rost!
Dieses Auto gehörte fast 30 Jahre
lang einem netten Schweizer
„Garagisten“ (= Werkstattbesitzer).
Was ihn bewogen haben mag,
sich davon zu trennen, noch dazu
zu einem Schandpreis, das werde
ich wohl nie begreifen. Der nevadabeige ´71er wird ein
dankbares Projekt für die nächsten Jahre, führt er doch
zurück zum klassischen RO 80, ohne VAG – Teile, der
aber die wichtigsten Modifikationen und Verbesserungen
schon hinter sich hat.
Versuch einer Standortbestimmung
Ein RO 80 ist ein fahrbares Denkmal deutscher Ingenieurskunst. Ihn zu erhalten,
ist nicht nur
eine Marotte, sondern auch eine Verpflichtung gegenüber nachwachsenden
Generationen. Die
Oldtimerei mancher Leute hat sich ja schon weit weniger erhaltenswerter
Fahrzeuge angenommen.
Man denke nur an solche Schüsseln, Heckschleudern, Rostbeulen und frühe
Plastikbomber
der 70er und 80er Jahre, die teilweise zwar in ganz erheblichen Stückzahlen
produziert und
verkauft wurden, die aber heute im Straßenbild kein Mensch vermisst. Aber fast
allesamt waren
es Meisterwerke der Gewinnmaximierung einer erfolgsverwöhnten Industrie. Soweit
die Hersteller
noch existent sind, finden sich immer ein paar Verrückte Anhänger oder sogar
ganze Clubs,
die diesem Mist zum Kult machen, notfalls mit Fuchsschwänzen und Lammfellen. Da
haben wir
es schwerer. Wer kümmert sich um NSU – Fahrer und Ihren Ersatzteilebedarf? Und
wer hält
ihnen die Fahne hoch? VW tut es nicht.
Ein Glücksfall war es, dass bei NSU vor fast 40 Jahren eine geringe Zahl hoch
motivierter Ingenieure
beauftragt wurde, um den neuen Motor herum ihr Traumauto zu bauen. Weitere
Vorgaben
gab es scheinbar nicht oder sie waren nicht so wichtig – vielleicht zum letzten
Mal in der
Automobilgeschichte. So entstanden die einmalige Form und der unverwechselbare
Charakter
des RO 80. Das Pech war, dass die kritische Phase der Markteinführung in die
Zeit des Überlebenskampfes
der Marke NSU fiel. Hier kann man den Ertrinkenden im Nachhinein viele
Versäumnisse
vorhalten, eine reelle Chance hatten sie nicht. Letztlich führte der Mangel an
Ressourcen
zu einem verpatzen Serienanlauf und damit zu einer Rufschädigung, von der sich
der
Wankelmotor zumindest in seinem Heimatland bis heute nicht erholt hat.
Ein weiteres Handicap für den Motor war die Ausgestaltung der Lizenzverträge
durch NSU und
die Wankel GmbH. Sie waren mit hohen Eintrittspreisen auf einen kurzfristigen
Kapitalrückfluss
angelegt und schadeten damit der langfristigen und nachhaltigen Verbreitung des
Motors durch
tatsächlich produzierte oder eben nicht produzierte Stückzahlen. Ein
Lizenznehmer sicherte sich
mit dem Erwerb einer Lizenz zunächst eine Option auf den neuen Motor. Solange er
nicht in die
Serienproduktion einstieg, vermied er weitere Kosten und konnte das Ende der
Wankel – Euphorie
in aller Ruhe abwarten. NSU ist auf dem Tiger geritten und die Branche schaute
zu. Als
es zu Ende war, machte man weiter wie zuvor.
Es ist ein weit verbreiteter Irrglaube, große Technologiesprünge und
Innovationsgeist hätten
einen unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit wirtschaftlichem Erfolg.
Die Friedhöfe
der Technikgeschichte sind voll mit erstklassigen Produkten, die oft ihrer Zeit
weit voraus waren.
Allein in der relativ jungen Computerbranche gibt es eine Fülle guter Hardware-
und Softwareprodukte
oder auch ganzer Systemlösungen, die aus irgendwelchen Gründen am Markt nicht
durchgesetzt wurden und oft Ihre Herstellerfirmen mit ins wirtschaftliche Aus
gerissen haben.
IBM, Intel, Microsoft, SAP, HP und andere haben gezeigt, dass es auf die
Durchsetzung am
Markt ankommt, nicht auf die Innovationskraft. Die Akzeptanz der Käufer für ein
Produkt ist in
gewissen Grenzen manipulierbar und das wird auch jeden Tag gemacht, auch davon
lebt eine
ganze Branche. Würde sonst jemand einen Tintenstrahldrucker kaufen, der schon
nach wenigen
Ersatzpatronen teurer ist als ein brauchbarer Farblaserdrucker? Wohl kaum.
Modellpflege
Welche Maßnahmen der Modellpflege hat denn nun VW / Audi als neuer Eigentümer
von NSU
ergriffen, um den RO 80 am Markt attraktiv zu halten?
• Die Qualität der Beschichtungen an den Laufflächen der Mäntel, die Haltbarkeit
der
Dichtsätze und die Wirksamkeit der Standdichtungen wurden eindeutig verbessert.
• Statt der höhenverstellbaren NSU – Sitze wurden einfachere Audi 100 Sitze
verbaut.
• Die Qualität der Bleche während der Stahlkrise war wegen des hohen
Kupferanteils teilweise
lausig, nicht nur bei VW / Audi. Der Rostfraß begann schon im Werk.
• Die aufwendige und sehr leise 2 – Rohranlage von Boysen wurde gegen eine
billigere
und deutlich lautere 1 – Rohranlage ersetzt. Wer das bestreitet, muss zum
Ohrenarzt.
• Es gab eine thermische Abgasnachbehandlung, dafür weniger Leistung, mehr
Gewicht
und einen nicht näher bezifferten Mehrverbrauch.
• Dieter Korp berichtet von der Entfernung der Kombizange aus dem Bordwerkzeug,
um
die Stückkosten zu senken. Sicher kein Durchbruch.
• Aus dem ehemals üppigen Dreiklanghorn wurde eine normale Hupe. Wohl nicht aus
musikalischen
Gründen.
• Die Option Lederausstattung wurde gestrichen, zum Trost gab es jetzt VW –
Lackfarben.
• Eine Klimaanlage und eine Zentralverriegelung wie bei der Konkurrenz gab es
nicht.
• die aufwendige Doppelzündung wurde durch eine billige Einfachzündung ersetzt,
freilich
erneut auf Kosten der Spritökonomie und der Leistung.
• Über die Qualität der optischen „Aufwertung“ mit Gummieinlagen in den
Stoßfängern
und größeren Heckleuchten kann man streiten, sie entsprach wohl dem
Zeitgeschmack.
• Eine zeitgemäße Motorisierung mit einer dem mittlerweile gestiegenen
Fahrzeuggewicht
angemessenen Leistung war zwar fertig entwickelt, ging aber nur in
Vorstandsfahrzeuge,
nicht in Serie.
• Also gab es auch keine zeitgemäße Bereifung, außer für die Vorstandsfahrzeuge.
Man kann also sagen, dass sich VW / Audi beim Thema Modellpflege des RO 80 nicht
gerade
mit Ruhm bekleckert hat. Es schien die Meinung vorzuherrschen, wer einen RO 80
kauft, ist
selbst schuld. Ich denke, es war gar nicht das Ziel, einen attraktiven RO 80 im
Programm zu
haben und damit am Markt erfolgreich Stückzahlen zu platzieren. Denn das hätte
Fragen aufgeworfen,
deren Beantwortung Mut und Pioniergeist und die Bereitschaft zu erheblichen
Veränderungen
erfordert hätten – nicht gerade die Stärke eines halbstaatlichen Konzerns, der
im Wesentlichen
von einem Produkt gelebt hat, dem Käfer. Und solange genügend Käfer vom Band
liefen und der luftgekühlte Boxermotor sich sogar in anderen Fahrzeugen
verkaufen ließ, gab es
keinen Veränderungsdruck.
Ein gutes Beispiel der reinen Kostendenke bei VW / Audi ist die späte „Entwicklung“
des etwa
130 PS starken KKM887 („Dicke Berta“), eines RO 80 – Motors mit von 67mm auf
73mm verbreiterten
Mänteln (und Läufern) und dafür etwas schmalerem Zwischenteil, damit er zwischen
den Kühler und das Getriebe des RO 80 passte. Der Serienanlauf war für das
Produktionsjahr
1977 vorgesehen, verstärkte Getriebe wurden schon seit einiger Zeit eingebaut.
Warum hat
man diesen Motor entwickelt, obwohl doch der EA871, ein weit modernerer Motor
der dritten
Generation, schon fertig war? Weil man für die neue Geometrie des EA871 neue
Produktionsanlagen
gebraucht hätte, insbesondere zum Schleifen der Mäntel. Der KKM887 hatte aber
die
identische Schnittgeometrie des KKM612, er ließ sich also auf den gleichen, von
NSU geerbten
und längst abgeschriebenen Maschinen fertigen.
Schon ein Bäckermeister weiß, dass er investieren muss, um auch
morgen noch seine Brötchen backen zu können. Sonst backen andere,
die investiert haben. Potentielle RO 80 – Käufer sind spätestens 1977
zur Konkurrenz gegangen, ausgenommen vielleicht ein paar Spinner
wie ich einer gewesen wäre, hätte sich mir diese Frage in einer anderen
Lebensphase gestellt. Wir wollen mal nicht verschweigen, dass ich mit
16 Jahren andere Interessen verfolgt habe, und die waren auch sehr
spannend!
Das Ziel war also, mit dem RO 80 ein Wankelfahrzeug im Programm zu halten,
um damit den Pflichten des Lizenzvertrages zu genügen und weiterhin von den
Lizenznehmern Lizenzgebühren zu kassieren, nichts weiter. Das brachte
offensichtlich mehr ein als eine nachhaltige Produktverbesserung. Hierbei muss
man fair bleiben und einräumen, dass VW / Audi die Lizenzverträge sozusagen
ebenfalls geerbt hat und nicht einfach nach eigenem Gusto umgestalten konnte.
Dennoch: Wäre
NSU damals nicht in die Hände der „Fetten Tante“ in Wolfsburg gefallen, sondern
bei einem innovativeren, aber dennoch finanzkräftigen Unternehmen gelandet,
wer weiß, was daraus hätte werden können. Aber welches Unternehmen hätte
das damals sein können? Ich weiß es nicht.
Ich kann mich aber gut erinnern, dass der erste Renault Espace vor etwa 20
Jahren von der
gleichen Stuttgarter Autozeitung getestet wurde, in deren Kleinanzeigenteil ich
meinen marathonblauen
RO 80 gefunden habe. Ich glaube, es war sogar das gleiche Heft. Das Resultat war
niederschmetternd für Renault: Niemand würde ein solches Auto brauchen, stand da
schwarz
auf weiß. Weit gefehlt! 20 Jahre später hat fast jeder Großserienhersteller ein
solches Auto im
Programm, auch Mercedes Benz und VW. Renault war offensichtlich die Definition
und die
Durchsetzung einer neuen Fahrzeugklasse gelungen, auch gegen den Widerstand in
der deutschen
Presse. Jahre später wurde dieser Erfolg mit dem Kompakt – Van nach gleichem
Muster
wiederholt. VW zog erneut erst sehr spät nach. Dabei muss man sehen, dass gerade
Volkswagen
aufgrund seiner Marktposition, seiner Stammkundschaft und seiner damit
verbundenen
Definitionsmacht sicherlich die allerbesten Vorraussetzungen hätte, die man sich
nur wünschen
kann, um einer neuen Technologie oder einer neuen Interpretation vom Automobil
zum Durchbruch
zu verhelfen. Warum es beim Wankelmotor nicht geschah, wird Herr Piech wohl
wissen.
Auf die häufig gestellte Frage, warum sich der Wankelmotor nicht durchgesetzt
hat, gibt es zumindest
eine einfache Antwort: Weil er von niemanden durchgesetzt wurde! Es war einfach
niemand da, der die Überzeugung, den Mut, die Marktmacht und das Stehvermögen
hatte, diese
Technologie für die breite Masse fertig zu entwickeln, professionell zu
fertigen, die Käufer auf
das Produkt „geil“ zu machen und damit das Produkt am Markt einfach
durchzusetzen. Wer einen
Camcorder, eine Digitalkamera oder einen DVD - Spieler besitzt, der weiß, dass
ein Außenseiter
es allein nicht schaffen kann, einfach einen neuen Standard zu etablieren.
Ist das alles? Nein. Man muss sich nur die dreidimensionale Gasdichtung eines RO
80 – Motors
ansehen und sie mit der zweidimensionalen eines Ottomotors vergleichen. Die
Gasdichtung
eines solchen Wankelmotors besteht aus vielen filigranen Einzelteilen, die aus
teurem Material
mit hoher Präzision gefertigt und dann von Hand eingepasst werden müssen. Der
Ausfall auch
nur eines einzigen dieser Teile führt unweigerlich zu Kompressionsverlust und
ist der Anfang
vom Ende des Motors. Zudem erfordert der einwandfreie Lauf der Gasdichtung eine
hohe Anzahl
präzise bearbeiteter und vergüteter Flächen im Motor, und das bei sehr
komplizierter Geometrie.
Das spart zwar Material und Bauvolumen, treibt aber den Verbrauch an
Gehirnschmalz,
Fertigungsgerät und Fertigungstiefe, Arbeitsgängen und Prüfzyklen und damit auch
die Kosten
in die Höhe.
In den Block eines Ottomotors werden dagegen eine der Zylinderzahl entsprechende
Anzahl
zylindrischer Laufbuchsen eingeschlagen - und fertig! Kolben, Wellen und Ventile
sind einfache
Drehteile, die ebenso wie die einfachen Kolbenringe in hohen Stückzahlen billig
herzustellen
und vollautomatisch zu montieren sind. Mit heutiger Produktionstechnik, also
unter massivem
Einsatz von NC – gesteuerten Maschinen in der Teilebearbeitung und von Robotern
in der
Montagetechnik,
ließe sich dieser Kostennachteil sicherlich teilweise wieder auffangen, aber der
technische Fortschritt bei den Herstellungstechnologien arbeitet auch für die
Otto – Konkurrenz:
Bei gleicher Stückzahl ist ein Ottomotor trotz einer größeren Anzahl an
Hauptteilen auch heute
noch erheblich billiger herzustellen als ein Wankel: Weniger Dichtteile, mehr
Gleichteile, weitere
Maßtoleranzen, weniger Handgriffe und damit weniger Stationen für die
automatisierte Montage,
geringere Investitionen, geringere Stückkosten.
Es war schon in den 60er Jahren bekannt, dass der Wankelmotor sich für den
Betrieb mit Wasserstoff
sehr gut eignet, weil der kalte und der heiße Bogen räumlich voneinander
getrennt sind.
Bei der ortsfesten Verbrennung im Ottomotor würde sich die Ladung schon an den
heißen
Einlassventilen
entzünden. Wäre man damals zu der Erkenntnis gelangt, dass erst der Betrieb mit
Wasserstoff das ganze Potential des Wankelantriebs freilegt, hätte man außer den
mächtigen
Großaktionären der Autoindustrie einen noch viel mächtigeren Gegner gehabt: Die
Ölindustrie.
Warum aber sollte gerade diese reichste aller Branchen ihre gesamte
Infrastruktur mit
Milliardeninvestitionen
umbauen, wo doch das Benzin an den Zapfsäulen so gut lief und auch nach
der ersten Ölkrise jedes Jahr zweistellige Steigerungsraten abwarf? Dieser
Brocken wäre auch
für VW nicht zu stemmen gewesen!
Nach der reinen Lehre der Kolbenmaschinen ist der Hauptvorteil des Wankelmotors
seine Laufruhe
und sein enormes Drehvermögen. Erstere hat jeder Fahrer eines RO 80 gespürt,
letzteres
wurde damals nicht ausgereizt, um die Anbauteile wie Vergaser, Wasserpumpe,
Lichtmaschine
usw. aus dem normalen Zulieferprogramm beziehen zu können und nicht selbst neu
entwickeln
zu müssen. Auch Mazda ist mit dem RX-8 eher den sicheren Weg gegangen,
jedenfalls noch
lange nicht am Ende der erreichbaren Drehzahlen angelangt. (Ottomotoren von
Honda drehen
trotz aufwendigen Ventiltriebs auch bis zu 10.000 U/min und erreichen dabei
ahnsehnliche
Verbräuche und gute Standzeiten). Ein zukünftiges Wankelfahrzeug bräuchte
demnach eigentlich
kein Getriebe mehr, ein guter Drehmomentwandler mit einer für das Anfahren und
den
Stadtverkehr geeigneten Kennlinie würde reichen, wenn der Schlupf bei höheren
Geschwindigkeiten
gegen null geht. Dies wäre die komplette Neuinterpretation eines
Automobilantriebs, die
mich überzeugen würde. Der Platzbedarf wäre der eines besseren Dynamos mit
Anbauteilen,
vielleicht je einer pro Achse oder sogar direkt an den Rädern. Das Abgas wäre so
sauber, dass
der Begriff Abgas irreführend wäre. Aber zuerst kommt doch wohl die
Brennstoffzelle, um endlich
den Wasserstoff salonfähig zu machen. Der Kaltverbrennung wird es an Temperament
fehlen
– und genau dann könnte der Wankel zuschlagen. Vielleicht...
Der RO 80 steht als Monolith in der Automobilgeschichte. Für viele ein Irrweg,
für manche ein
idealer Reisewagen, für wenige die einzige geniale Limousine. Er hatte keinen
Vorgänger und
keinen Nachfolger. Ein Vorgänger hätte seine Wirkung nur verringert, ein
Nachfolger war gar
nicht gewollt, denn die Industrie und ihre Eigentümer wollen Gewinne
erwirtschaften, nicht etwa
das Automobil verbessern. Ein gutes Beispiel dafür ist die Einführung des G-Kat
gegen den er
bitterten Widerstand der Hersteller durch den Gesetzgeber in den späten 80ern
oder auch die
aktuelle Diskussion um die längst überfällige Einführung des Partikelfilters für
Dieselfahrzeuge.
Nur der drohende Verlust von Marktanteilen an die Konkurrenz aus Frankreich ist
ein wirksames
Motiv, endlich das Produkt zu verbessern. Wenn auch das nicht reicht, muss wohl
wieder der
Gesetzgeber ran. Traurig, aber wahr.
Das Projekt „Bootsmotor“
Ein echtes NSU – Produkt ohne VAG – Teile ist der
bis 1971 gebaute Bootsmotor RO135 Marine. Angeblich
sind etwa 3.000 Stück dieser Motoren an Bootswerften
ausgeliefert worden, bis VW die Produktion
einstellen ließ. Die meisten liegen wahrscheinlich
irgendwo am Meeresgrund oder sind verschrottet
worden. Einen solchen Motor zu finden, ist nicht
leicht.
Man findet leichter einen gut erhaltenen oder
sogar einen neu aufgebauten Mazda 13B Motor zu
einem günstigeren Preis. Aber doch nicht für einen
RO 80!
Der RO135 Bootsmotor ist dem RO 80 – Motor im Prinzip baugleich, mit 3 kleinen
aber feinen
Unterschieden:
• Die Doppelzündung mit engerer Anordnung der Zündkerzen im Mantel zündet die
Gasladung
besser durch
• Die gegenüber dem Automotor deutlich größeren Einlasskanäle beseitigen einen
Gutteil
des Flaschenhalses beim Gaswechsel mit Umfangseinlass
• der Zenith – Vergaser mit der langen Ansaugbrücke und den großen
Drosselklappen
bringt eine bessere Zerstäubung als die Solex – Vergaser, paßt aber leider nicht
in den
Motorraum des RO 80.
Ob er nun 135 PS hat oder nicht: Ein mit einem
RO135 Motor motorisierter RO 80 ist spürbar agiler
und fahrdynamischer als ein Serienfahrzeug.
Die
Ersatzteilversorgung ist nicht schlechter als bei
einem normalen RO 80, nur die Mäntel sind anders.
Insbesondere die Fahrer der 871er und 887er
Versuchsmotoren werden das zu schätzen wissen.
Der RO 80 bereitet jetzt sogar einen gewissen
Fahrspaß, der auch aus der Motorleistung kommt
–
und das bei sinkendem Verbrauch. Steigerungen
sind noch möglich, denn das Potential für weitere
Versuche ist noch nicht ausgeschöpft. Wer einen
solchen RO 80 über längere Strecken bewegt hat, der kann schon mal am
technischen Fortschritt
der letzten 30 Jahre zweifeln, wenn er wieder in seinem Alltagsfahrzeug sitzt.
Und dabei
ist kein Teil eingebaut, das nicht auch schon von NSU verbaut worden ist. Die
Mischung
macht´s. Trotzdem ist es kein Originalfahrzeug mehr, nichts für Puristen, ich
weiß.
Die Wiederentdeckung der Laufkultur
Die Ferienresidenz am französischen Atlantik steht unweit von Arcachon in einem
großen, duftenden
Pinienwald und ist locker bebaut. Die Chalets haben ausgedehnte Sonnenterassen
aus
hiesigem Nadelholz, teilweise auf nivellierenden Betonstelzen in die hügelige
Landschaft elegant
eingepasst, architektonisch gelungen und qualitativ hochwertig aufgebaut. Sie
bringen geschmackvolle
Farbtupfer in die angenehme Kühle dieses ganztägigen Halbschattens. Wer jemals
hier einen Urlaub verbracht hat, soll wiederkommen. Wir haben Spätsommer 2003.
Die
Luft ist unglaublich klar und von fern hört man bei völliger Windstille
gelegentlich das Rauschen
des Meeres. Die schmale Straße zum Golfplatz ist auf 20 km/h begrenzt, sodass
die Abrollgeräusche
der Reifen kaum hörbar sind. Hörbar sind dagegen die Motoren der nicht gerade
billigsten
und ältesten Fahrzeuge, mit denen die Golfer unterwegs sind. Auch die modernsten
Dieselfahrzeuge
brauchen die TDI, HDI oder CDI Embleme nicht. Man identifiziert sie noch immer
am
nagelnden Klang und am beißenden Rußgestank. Eigentlich eine Zumutung. Es
braucht mindestens
einen Achtzylinder Benziner, z.B. einen Land Rover, um der Laufruhe eines RO 80
schon bei diesen Drehzahlen gleichzukommen. Wo ist hier der Fortschritt
geblieben? Wahrscheinlich
weiß auch der Herr Piech darauf keine Antwort.
In der Zeitung steht, dass der VW – Konzern wieder gutes Geld verdient, auch
wenn der Phaeton
nicht so richtig eingeschlagen hat. Die Stückzahlen sind jedoch so gering, dass
sie in der
Konzernbilanz kaum zu Buche schlagen. Vom neuen Audi A8 verspricht man sich
mehr, hat
man doch 20 harte Jahre daran gearbeitet, das Audi – Image mit „Vorsprung durch
Technik“
aufzupolieren. Hätte der Phaeton den von vielen erwarteten Wankelmotor bekommen,
wäre sein
Misserfolg wohl dem Motor angelastet worden, oder?
Lizenzeinnahmen von Konkurrenten gibt es diesmal nicht! Dafür gab es jede Menge
Subventionen
vom ehemaligen sächsischen „König Kurt“ für den Bau der „gläsernen Manufaktur“
in Dresden,
die eigens für den Phaeton gebaut wurde. Warten wir also ab, wie lange der
Phaeton angeboten
wird, bis der Druck der Aktionäre auch seine Produktion beendet. Ich wage die
Prognose,
er wird weder 10 Jahre noch 30.000 Exemplare schaffen. Vielleicht eine späte
Genugtuung
für die ehemaligen Mitarbeiter von NSU, jedenfalls eine schallende Ohrfeige der
Kundschaft für
die „eitlen Männer“ (Andreas Knie) im VW - Vorstand. Wenn schon nach 20 Jahren
Imagepflege
für die Konzernmarke Audi und nach den ersten Erfolgen des A8 im Luxussegment
ausgerechnet
ein „Volkswagen“ mit den ganz großen Limousinen dieser Welt ins Rennen gehen
soll, dann
hätte man doch noch etwas tiefer in die Technikkiste des Konzerns greifen
können
... aber wahrscheinlich
war der Herr Piech hier wieder anderer Meinung.
Es ist mir egal. Wenn ich
wieder zuhause bin, werde
ich mich in den RO 80
setzen. Kaum kommt der
Schlüssel nur in die Nähe
des Zündschlosses, fängt
er schon an zu zuckeln.
Einmal rum – und sofort ist
er da! (Buchholz). Wir
werden eine Runde um die
Häuser drehen und durch den Schwarzwald gleiten. Ich fahre und der Wankel wird
dazu singen.
Das Radio bleibt aus wie immer. Was kümmern uns die Wirrungen der
Automobilgeschichte!
Text: Michael Grieme Bilder: Motor Presse, NSU, Georges Stoelen, Hannes
Felzmann,
Thomas Sattler, Michael Grieme