MICHAEL GRIEME STORY             UPDATE: 03-07-2005


Fahren wie ein König – die Wiederentdeckung einer Leidenschaft

 Die erste Verzauberung

Es war die Zeit, in der ich denken lernte, gegen Ende der 60er Jahre. Es gab viel zu entdecken
und alles war interessant: Raketen, Flugzeuge, Autos, Eisenbahnen und Schiffe. Je schneller,
desto faszinierender. Zum Glück war mein Vater Ingenieur. Auch wenn er nichts mit
 Fortbewegungsmitteln zu tun hatte, weil er „nur“ an Maschinen arbeitete, konnte er mir vieles
erklären: wie eine Mondrakete auf Kurs bleibt und dabei immer schneller wird, wie Thor
Heyerdahl mit einem Boot aus Schilfbündeln den Atlantik überquert hat, warum überhaupt ein
Schiff schwimmt und ein Flugzeug fliegen kann. Warum ein Flugzeug dazu Energie braucht
 und das Schiff auch dann nicht untergeht, wenn es sich nicht bewegt.
Wie ein Motor funktioniert und dass es einen ganz neuen Motor gibt, einen mit sich drehenden
Kolben, der erstmals nicht mehr von der Dampfmaschine abstammte.
Benannt nach einem klugen Mann am Bodensee, der ihn ersonnen
hat:
Felix Wankel.


Familienkäfer

Wir fuhren eines Sonntags mit unserem grünen Familienkäfer (an das Kennzeichen erinnere ich
mich noch heute) auf einer Landstraße zu einem Ausflugsziel in unserer Gegend, es könnte ein
Tierpark gewesen sein. Es hatte gerade geregnet, die Landschaft und die Straßen waren nass
und glänzten in der Sonne, während die Sicht aus den hinteren Sitzen sich etwas besserte. Wir
Kinder malten gern mit den Fingern Kreise und Figuren auf die beschlagenen Innenseiten der
Seitenscheiben, während hinten unter uns der Boxermotor (wohl noch ein 1,2 Liter mit 34 PS)
monoton dröhnte und der Familie damit seine Mühe kundtat, die er mit uns vieren schon bei
leichten Steigungen hatte.

Plötzlich würden wir von einem UFO überholt. Der hupte auch noch ziemlich laut und es saßen
winkende Leute darin, die offenbar meinen Vater kannten. Mehr konnte ich nicht sehen, denn
nachdem der UFO vorbei war, waren die Scheiben außen wieder ganz nass und mein Vater
musste die kleinen, hüpfenden Wischer wieder anmachen, damit man aus dem Inneren des
kleinen VW überhaupt Sichtkontakt mit der Außenwelt halten konnte. Der UFO blinkte nach
rechts und mein Vater folgte ihm auf einen kleinen Parkplatz, damals noch aus Pflastersteinen
einfach hinter ein paar Bäumen und Sträuchern ohne Ausfädelspur angelegt. Das Abholzen der
Alleen hatte wohl noch nicht begonnen. Wir stiegen aus.

Der Fahrer des UFO entpuppte sich als
der ehemalige Chef meines Vaters, ein
freundlicher Fabrikbesitzer alter Schule,
einer von denen, die dieses Land nach dem
Krieg „mit eigenen Händen“ wieder aufgebaut
hatten. Der UFO war bei näherem Hinsehen
 doch ein Auto, ein funkelnagelneuer NSU RO 80,
scheinbar aus einem Science Fiction,
jedenfalls nicht von dieser Welt: Fremd und
schön und blendend weiß stand er da, vorne
ganz flach und hinten hoch, wie eine Katze vor
 dem Sprung. Der Begriff Keilform war uns
noch nicht bekannt, aber dass dies eine völlig
neue, modernere Form war, die bei keiner
 anderen Limousine jemals zu sehen war, das hätte auch meine liebe Oma sofort erkannt, die
sich nicht für Autos interessierte. Heute weiß ich, dass es ein RO 80 der ersten Baujahre war,
 optisch flacher und breiter als alles, was damals herumfuhr. Die Oma ist längst im Himmel
und kann von Ihrem „Fensterplatz“ aus sehen, dass heute fast alle Limousinen eine solche
Form haben, ob mit Stern oder Niere oder Blitz.

Erst als mein Vater den Käfer abgestellt hatte, hörten wir den Motor, den man kaum hören konnte.
Wir stiegen aus und es gab eine freundliche Begrüßung der Erwachsenen. Völlig ungläubig
ging ich mehrmals um diesen Schlitten herum: Alles glänzte, riesige bequeme Sitze, kein lackiertes
Blech im Innenraum, sondern alles verkleidet und gepolstert, endlos Platz, vier große
Türen, die mit einem satten Klang ins Schloss fielen (wie zuhause die Kühlschranktür, in der
immer die braune Flasche mit dem ekligen Lebertran stand) und vorne jede Menge Instrumente,
wie im Cockpit eines Flugzeugs. Ich weiß nicht, wie lange es dauerte, aber diese entscheidenden
Minuten war ich mit dem Auto wohl allein.

Nachdem die Erwachsenen ihre Erinnerungen und Komplimente ausgetauscht hatten, gab es
einen kurzen, aber herzlichen Abschied und schon hieß es „Einsteigen, Jungs!“, also zurück in
die Falle zwischen den klappbaren Vordersitzen und dem Käfermotor, wo man gerade mal das
hintere Ausstellfenster betätigen kann, um nicht an Klaustrophobie zugrunde zu gehen. Oder
gab es diese Fenster erst später in unserem Opel Kadett? Die Erinnerung verschwimmt. Also
mutmaße ich weiter: Während der Käfer noch über das Kopfsteinpflaster in Richtung Straße
stolperte, rauschte der RO 80 leise davon. Schon bald war er außer Sichtweite. Es war klar:
wenn du groß bist, kaufst du dir einen RO 80, dann bist du König von Deutschland.
Mein Vater sagte, dieses Auto würde 180 km/h schnell fahren, aber das war weit außerhalb unserer
Vorstellungskraft. Die Autobahnsteigungen schaffte unser Käfer nur im dritten Gang – da
fuhr man unter 100. Wir kannten solche hohen Geschwindigkeitsangaben nur aus Quartettspielen,
wussten aber aus der gleichen Quelle, dass ein Mercedes 220S der Autobahnpolizei in jenen
Jahren noch mit etwa 160 km/h unterwegs war. Das war wohl ausreichend, denn eine RAF,
die sich des RO 80 als Fluchtauto bedient haben soll, gab es noch nicht.

Gut 10 Jahre Später, gegen ende der 70er durfte ich mit einem Schulkameraden gelegentlich
mitfahren, wenn der von seinem Vater den Schlüssel von dessen orangefarbenen RO 80 „ausgeliehen“
hatte. Er fuhr entgegen seinem sonstigen Temperament und entgegen seinem Engagement
in der Schule sehr „sportlich“ und ich wunderte mich über die Fahrsicherheit dieses Wagens
insbesondere in schnell durchfahrenen Kurven. Es hat Führerscheinneulinge gegeben, die
den ersten Geschwindigkeitsrausch mit dem Leben bezahlt haben, sie saßen vermutlich nicht in
einem RO 80. Ich wüsste gern, was aus diesem Auto geworden ist. Vielleicht bekomme ich
beim nächsten Klassentreffen darauf eine Antwort.


Die erste Erfüllung

Nachdem ich nach dem Abitur keinen Berufswunsch hatte (und auch noch nicht so viel arbeiten
wollte), bot sich ein Ingenieurstudium an. Hier gab es ausgedehnte Semesterferien, in denen
interessante Praktika in der Industrie einerseits Erfahrungen für das kommende Berufsleben,
andererseits die Erwirtschaftung von etwas Einkommen für die Urlaubskasse ermöglicht haben.
Diese Praktika waren mir schon nach kurzer Zeit wichtiger als das Studium selbst, denn das war
voller Theorie und Theorien. Eine Ausnahme war die Vorlesung über Automobildesign der
Nachkriegszeit, gehört beim damaligen Vorstandsvorsitzenden der Daimler Benz AG, Herrn
Prof. Werner Breitschwerdt, an der ehrwürdigen Technischen Universität in Karlsruhe. Es wäre
übertrieben, hier zu behaupten, dieser freundliche und sehr beschlagene Herr hätte zu Beginn
der 80er Jahre für ein nicht mehr erhältliches Konkurrenzprodukt Werbung gemacht. Nein, das
hat er nicht. Er hat gesagt, was nur mit Distanz und Größe möglich ist: Er hat gesagt, die RO 80
- Karosserie sei wie keine andere ein epochales Meisterstück gewesen, stilbildend für eine ganze
Generation von Automobil-Designern. Mehr nicht, aber auch nicht weniger. Claus Luthe, der
Schöpfer des RO 80 – Designs war damals schon Chefdesigner von BMW. Die neueren BMWs
bekamen langsam „den Hintern hoch“, ein Zugeständnis an die sich durchsetzende Keilform.
Nach diesem Semester war also klar: Ein eigener RO 80 musste endlich her! Ich hatte „die Taschen
voller Geld“ (vielleicht 5.000 Mark?!) und kaufte mir alle 14 Tage eine Auto Motor & Sport,
um hier in den Kleinanzeigen fündig zu werden. Warum die Mehrzahl der Anzeigen irgendwelche
Mercedes oder Porsche bewarben, aber nur eine Handvoll einen NSU RO 80, war mir damals
nicht begreiflich. Ich dachte, ich muss wohl ein Individualist sein. Ich begriff nicht, dass die
Abwehrschlacht der gesamten Branche gegen den Angriff einer „Handvoll Männer“ (Dieter Korp)
längst entschieden war und dass im Gebrauchtwagenteil der Stuttgarter Motorpresse nur seine
Proportionen wiederfand, was 15 Jahre zuvor die automobile Welt kurzzeitig in Angst und
Schrecken versetzt hatte. NSU war gescheitert und hatte seine unternehmerische Existenz verloren,
VW / Audi waren längst auf einem andern Weg (heute sagt am dazu „Mainstream“). Die
Tage der Rubrik „NSU“ bei den Gebrauchtwagenanzeigen waren gezählt. Für „ams“ blieb die
Welt in Ordnung, denn in Stuttgart hatte es ja niemanden erwischt.

Einer in Marathonblau Metallic musste es sein, letztes Modell, mit Schiebedach, und ich fand ihn
dann auch, einige hundert Kilometer entfernt, Baujahr ´76 zu einem Schandpreis – noch dazu
mit einem stümperhaft reparierten Frontschaden. Ich war der glücklichste Fahrer aller Zeiten,
auch wenn ich für die Überführung meine gesamte kriminelle Energie mobilisieren musste, indem
ich statt diverse Behördengänge anzutreten, kurzerhand die Kennzeichen meines Audi 80
montierte - Versicherungsbetrug und Steuerhinterziehung! Mea Culpa, aber verjährt.


Die erste Ernüchterung

Das Auto hatte von Anfang an seinen eigenen Willen: Es sprang nur an, wenn es wollte. Wenn
es nicht wollte, konnte ich orgeln, bis eine 66Ah - Batterie leer war - er nützte nichts. Der Einbau
einer 88Ah – Batterie war sinnlos, nur das schlecht heruntergebogene Halteblech für die Batterie
erinnert mich noch heute an diese Jugendsünde. Es gab in den 80ern noch einige „Spezialisten“
für den RO 80, also verpasste man mir grünem Neuling nacheinander eine „Schusskanal –
Optimierung“, ein neues Zündgerät (wohl aus Fernost), diverse Additive und Wunderöle - der
Motor starb trotzdem wie ein Krebskranker, bei dem keine Therapie mehr anschlägt. Es folgten
die Käufe von 2 oder 3 Schrottfahrzeugen mit noch brauchbaren Motoren zum Ausschlachten,
bis mir klar wurde: Ein RO 80 ist kein normales Auto. Ein solcher Wagen will anders bewegt
werden, hier geht es nicht nur ums Gasgeben... und schon gar nicht im kalten Zustand!
Trotzdem sind mir die nächtlichen Vollgasfahrten auf der A5 zu meiner damaligen Freundin und
heutigen Frau und Mutter unserer Kinder in besonders schöner Erinnerung geblieben, wenn
auch die dabei erzielten Verbrauchswerte nicht gerade zur Entlastung des studentischen Geldbeutels
beitrugen. Auch in den 80ern war man mit dem RO 80 auf der Autobahn noch einer der
schnellen - aber eben nicht mehr König, so wie es die Fahrer der ersten Generation noch erleben
durften.

Etwa viermal um die Erde hat er mich
gefahren, bis ich ihn Anfang der 90er Jahre
stillgelegt habe. Es waren schöne Jahre,
voller Entdeckungen und langer Reisen auf
deutschen Autobahnen und einsamen
Nebenstraßen, in Frankreich, in der
Schweiz und in Italien. Im Hochgebirge
musste ich hin & wieder das Drosselventil
der Membranpumpe für die Kupplung
nachstellen, damit sie ihren Dienst in der
dünnen Luft nicht verweigerte. Nach einem
Einbruchversuch in Südfrankreich wurde
eine Seitenscheibe per Luftfracht nach
Marseille transportiert, die Kosten übernahm der ADAC – natürlich auch die Hotelrechnung für
die 3 Tage Wartezeit bis zum Eintreffen der Scheibe. Es waren schöne Ferientage, lediglich
getrübt durch den Anblick der provisorisch aufgeklebten Plastikfolie an der Beifahrertür. Der
Einbau der Scheibe war dann wieder meine Sache und wurde routiniert direkt in der Hoteleinfahrt
erledigt, während meine andere Liebe sich auf der Veranda der Mittelmeersonne widmete.

Als ich Wasser im Öl hatte, war es ein Glückstreffer, wie ihn nur die Tüchtigen haben, zuerst die
O-Ringe am Ölkühler zu überprüfen und auszuwechseln, natürlich am eingebautem Motor.
Wenn die Kompression zur Neige ging und an kalten Tagen morgens die Startschwierigkeiten
unüberwindbar wurden, hatte ich stets einen Satz Rasenmäherzündkerzen zur Hand, um den
Motor durchzustarten und warmlaufen zu lassen. Das erneute Auswechseln der Kerzen ging
dann flott von der Hand und war ein Ritual wie das Vorglühen eines Dieselmotors geworden.
Die Werkzeugkiste war immer im Kofferraum. Den Spott der anderen ertrug ich gleichmütig.
Meine Freundin hat damals wohl sehr gelitten, weil ich viel Freizeit schraubend am RO verbracht
habe, um seine Verkehrstauglichkeit zu erhalten. Klar war, dass der RO mittlerweile in
einem Zustand war, der eine berufliche Nutzung für den Weg in die Firma oder gar für Kundenbesuche
verbot.

Einen Verkauf (wie beim Audi 80) habe ich nie erwogen. Obwohl ich in den
ersten Berufsjahren durch Immobilienkäufe und Familiengründung andere
finanzielle Belastungen zu stemmen hatte, ließ ich meinen RO 80 nicht
verrotten. Er bekam, was er nach 15 Jahren auf der Straße endlich
brauchte: Eine professionelle Entrostung, natürlich nicht ohne diverse
Reparaturbleche, eine Hohlraumkonservierung, eine Edelstahl –
Auspuffanlage und natürlich einen taufrischen Lack im immer noch sehr
ansehnlichen Originalton L96M (Marathon - Blau, was auch immer die
beiden Begriffe miteinander zu tun haben könnten) - um danach für über
10 Jahre in der Garage zu verstauben. Das Interesse war verflogen, oder
heute würde ich sagen: die Leidenschaft ruhte.

Vier oder fünf Geschäftswagen habe ich in der Zwischenzeit verschlissen, fast alle in der 3-Liter-
Klasse. Keiner hat mich so bewegt wie der RO 80, keinen habe ich geliebt. Es waren Maschinen
zur Fortbewegung, um Termine wahrzunehmen oder einfach von A nach B zu kommen. Wichtiger
als die Bauart des Motors waren die Zuverlässigkeit, die Unterhaltskosten, die Beschleunigung,
die Klimatisierung, die Qualität der Freisprechanlage für das nötig gewordene Autotelefon.
Wenn sie etwa 4 mal um die Erde waren, wurden sie ausgetauscht. Beim jetzigen hätte ich meine
Mühe, einen Liter Scheibenreiniger nachzufüllen – ich wüsste gar nicht, wo der Einfüllstutzen
ist. Danach suchen kann ich auch nicht, denn ich weiß nicht so recht, wie die Haube zum Öffnen
entsichert wird. Es interessiert mich auch nicht.

Die zweite Verzauberung

Ende der 90er sprachen die Kinder schon vom „alten Auto“, das da unter einer dicken Staubschicht
in der Garage stand und einen so jämmerlichen Eindruck machte, schon seit einigen
Jahren mit fast platten Reifen. Vielleicht 3 mal habe ich in dieser langen Zeit die Motorhaube
geöffnet und am Keilriemen den Motor etwas gedreht, damit er gängig blieb. Zu meinem 40ten
Geburtstag war es dann soweit: Ich rief bei Buchholz an und bat ihn, den RO 80 abzuholen und
durchzusehen. Ein Tag Urlaub reichte mir, um ihn gründlich zu reinigen und wieder den Duft in
seinem Innern zu schnuppern: Eine Mischung aus Hohlraumwachs und Benzin, sehr erotisierend
und voller Erinnerungen wie eine alte Schallplatte. Es vergingen lange Wochen, bis Buchholz
endlich eine Fertigmeldung gab und ich konnte es nicht erwarten, am Steuer meines RO 80
die 250 km lange Heimfahrt anzutreten. Schon nach wenigen Metern war alles wie früher: Das
vertraute Singen des Motors, die immer noch beste Lenkung aller Zeiten, das Wiegen in den
Kurven und das Gefühl, vom Wagen gezogen zu werden, nicht geschoben. Leider fehlte es an
Fahrdynamik, oder war ich verwöhnt? Der Motor wirkte schlapp – hier gab es etwas zu tun, um
den Fahrspaß zu steigern. Doch davon später mehr.

Seither weiß ich auch, was Standschäden sind
– nämlich teurer als mancher kapitaler Motorschaden
oder sogar Totalschaden eines weniger gut erhaltenen
Exemplars. Wenn Sie aber mit der gebotenen Sorgfalt
und Liebe zum Detail aufgespürt und beseitigt werden,
wie das bei Buchholz scheinbar üblich ist, verhält sich auch
ein mittlerweile 27 Jahre alter RO 80 als zuverlässiges,
alltagstaugliches Gefährt, das seinen Fahrer nicht stehen
 lässt und von bösen Überraschungen verschont
 – für mich eine völlig neue Erfahrung. Nicht nur mit dem RO
, sondern auch im Umgang mit Handwerkern. Saubere Arbeit.

Das Fahren am Steuer eines RO 80 im Jahre 2003 zieht Blicke von Passanten an. Die meisten
sind älter als ich und wissen, was sie da vor sich haben. Junge Leute kennen meist weder die
Marke NSU noch das Fahrzeug selbst. Wahrscheinlich vermuten sie einen verchromten Opel
Omega aus den „kultigen“ 80ern und gehen ihres Weges. An der Ampel kommt es vor, dass der
Fahrer im Auto nebenan seinem Beifahrer mit einer Kreisbewegung des Zeigefingers auf dem
Lenkrad einen Wankelmotor zu erklären versucht. Und es gibt viele freundliche Rentner, die
einen an der Tankstelle oder auf einem Parkplatz auf den Wagen ansprechen, oft voller Wehmut
und mit Erinnerungen an die „gute alte Zeit“. Die Frage nach dem wievielten Motor ist oft
dabei. Sie nicken anerkennend, wenn sie erfahren, dass der RO fast 300.000 km hinter sich hat.
Das sieht man ihm nicht an. Entgegenkommende Oldtimerfahrer anderer Marken grüßen fast
ohne Ausnahme. Einem anderen RO 80 begegnet man heute leider seltener als einem Rolls
Royce. Wenn doch, dann ist das immer ein Grund, sofort anzuhalten und sich auszutauschen.
Wäre das der einzige Kontakt zu Gleichgesinnten, würde die totale Vereinsamung drohen.


Das Internet ist ein Segen

Das Internet ist ein Segen. Es ermöglicht den Informationsaustausch
und die Kontaktaufnahme mit anderen RO 80 Fahrern,
über alle Entfernungen hinweg, so einfach wie kein anderes Medium.
Wenn es eine Technologie gibt, die noch mehr verändert hat
als das Automobil selbst, so muss es das Internet sein. Es gibt
Ersatzteile, nach denen man sonst lange suchen müsste, jede
Menge Links, Clubseiten (wenn auch leider nur mäßig besucht), Bilder &
Storys, nette Leute mit fast identischen Fahrzeugen nur wenige
 hundert Kilometer entfernt. Sie zu treffen und gemeinsam durch die
Gegend zu kurven ist ein ganz besonderes Vergnügen.


Trotzdem findet ein Gutteil der Wankelei heute am Computer
statt und nicht mehr in der Garage.


Angenommen, der Erstbesitzer eines RO 80 war vielleicht im Jahre 1973 auf der Höhe seiner
beruflichen Kreativität, seiner Individualität und seines Geschmacks, etwa vierzig Jahre alt oder
etwas älter, aber ohne alle Anzeichen von Alter. (Sonst hätte er diesen Wagen ja nicht gekauft!)
Also ist er heute deutlich über 70 Jahre alt und freut sich, wenn er gesund geblieben ist. Das
Autofahren wird ihm wahrscheinlich nicht mehr ganz so wichtig sein wie einem Fritz B. Busch,
denn er wird ja nicht dafür bezahlt. Er gehört also nicht einer Generation an, die mit ICQ oder
AIM groß geworden ist. Selbst das Öffnen einer Ersatzteilliste im XLS oder PDF - Format dürfte
ihm schwer fallen, ganz zu schweigen vom Umgang mit eMails, digitaler Fotografie oder der
Teilnahme an Auktionen und Foren im Netz. Er steht heute weitgehend abseits des Geschehens.
Wir müssen ihn persönlich kennen, ansprechen und einladen, um seiner Erinnerungen
und Erfahrungen habhaft zu werden. Die meisten kennen wir nicht, weil sie keinen RO 80 mehr
haben. Vielleicht sieht das im harten Kern eines Clubs nicht ganz so trübe aus.

Warum steigen die Preise nicht? Weil die erste und zweite Fahrergeneration das Autofahren
eingestellt hat und weit über 1000 erhaltenswerte Fahrzeuge zurückgelassen hat, die meisten
innerhalb Deutschlands. Das sind vielleicht 5% der Gesamtproduktion, eigentlich nicht viel – gut
35 Jahre nach der Premiere und 25 Jahre nach Serienauslauf. Aber wie soll man in diesen Zeiten
dafür Käufer finden? Welcher autobegeisterte 30 – Jährige möchte einen NSU RO 80 fahren?
Ein Liter Normalbenzin kostet mittlerweile deutlich über einen Euro und jeder RO 80 - Fahrer
weiß, wie wenig 80 Liter sein können. Beim Dorfschmied um die Ecke kann man das gute
Stück nicht reparieren lassen und die VAG – Werkstätten kennen sich nun wirklich nicht mehr
damit aus. Selbst die Besitzer der wenigen Spezialwerkstätten sind in einem Alter, in dem eine
Nachfolgeregelung zur Klärung ansteht. Wird sie nicht gefunden, ist die Werkstatt bald zu. VW
tut weniger als nichts, um die Fahrer der alten NSU – Fahrzeuge bei der Stange zu halten. Ein
RO 80 sieht noch nicht mal aus wie ein Oldtimer – und schon gar nicht wie ein alter VW. Er ist
zwar der Vater fast aller modernen Limousinen, aber dafür ist niemand zuständig. Es ist eine
Schande!

 

 

 

 


 

Der nicht bewältigte Generationswechsel drückt wie Blei auf die Preise,
und das wird in den nächsten Jahren noch schlimmer werden. Noch
trauriger dabei ist, dass ein Großteil der heute noch erhaltenswerten
Substanz mangels Wertschätzung der aktiven Generationen damit unweigerlich
der Verrottung preisgegeben wird.


Also wird gezielt investiert…

Ein Fahrer eines RO 80 der späten Serienjahre, der noch ein wenig
Geld übrig hat, möchte sich einen Wunsch erfüllen. Ein Citroen
DS? Vielleicht später. Ein BMW 2000 Tilux? Eine Borgward
Isabella? Nein! Meine Wahl fiel auf einen RO 80 der frühen
Serienjahre: Dickeres Blech von spürbar besserer Konsistenz,
original höhenverstellbare NSU - Sitze mit Chrombeschlägen,
wunderschöner Doppel-Flachstromvergaser mit aufwendigem
Gasgestänge (aus Messing?) und klassischem Choke, die
einmalige und für das typische „Wankelschnattern“ bekannte 2 –
Rohr - Anlage von Boysen und vor allem: Praktisch kein Rost!


Dieses Auto gehörte fast 30 Jahre
lang einem netten Schweizer
„Garagisten“ (= Werkstattbesitzer).
Was ihn bewogen haben mag,
sich davon zu trennen, noch dazu
zu einem Schandpreis, das werde
ich wohl nie begreifen. Der nevadabeige ´71er wird ein
dankbares Projekt für die nächsten Jahre, führt er doch
zurück zum klassischen RO 80, ohne VAG – Teile, der
aber die wichtigsten Modifikationen und Verbesserungen
schon hinter sich hat.


Versuch einer Standortbestimmung

Ein RO 80 ist ein fahrbares Denkmal deutscher Ingenieurskunst. Ihn zu erhalten, ist nicht nur
eine Marotte, sondern auch eine Verpflichtung gegenüber nachwachsenden Generationen. Die
Oldtimerei mancher Leute hat sich ja schon weit weniger erhaltenswerter Fahrzeuge angenommen.
Man denke nur an solche Schüsseln, Heckschleudern, Rostbeulen und frühe Plastikbomber
der 70er und 80er Jahre, die teilweise zwar in ganz erheblichen Stückzahlen produziert und
verkauft wurden, die aber heute im Straßenbild kein Mensch vermisst. Aber fast allesamt waren
es Meisterwerke der Gewinnmaximierung einer erfolgsverwöhnten Industrie. Soweit die Hersteller
noch existent sind, finden sich immer ein paar Verrückte Anhänger oder sogar ganze Clubs,
die diesem Mist zum Kult machen, notfalls mit Fuchsschwänzen und Lammfellen. Da haben wir
es schwerer. Wer kümmert sich um NSU – Fahrer und Ihren Ersatzteilebedarf? Und wer hält
ihnen die Fahne hoch? VW tut es nicht.

Ein Glücksfall war es, dass bei NSU vor fast 40 Jahren eine geringe Zahl hoch motivierter Ingenieure
beauftragt wurde, um den neuen Motor herum ihr Traumauto zu bauen. Weitere Vorgaben
gab es scheinbar nicht oder sie waren nicht so wichtig – vielleicht zum letzten Mal in der
Automobilgeschichte. So entstanden die einmalige Form und der unverwechselbare Charakter
des RO 80. Das Pech war, dass die kritische Phase der Markteinführung in die Zeit des Überlebenskampfes
der Marke NSU fiel. Hier kann man den Ertrinkenden im Nachhinein viele Versäumnisse
vorhalten, eine reelle Chance hatten sie nicht. Letztlich führte der Mangel an Ressourcen
zu einem verpatzen Serienanlauf und damit zu einer Rufschädigung, von der sich der
Wankelmotor zumindest in seinem Heimatland bis heute nicht erholt hat.

Ein weiteres Handicap für den Motor war die Ausgestaltung der Lizenzverträge durch NSU und
die Wankel GmbH. Sie waren mit hohen Eintrittspreisen auf einen kurzfristigen Kapitalrückfluss
angelegt und schadeten damit der langfristigen und nachhaltigen Verbreitung des Motors durch
tatsächlich produzierte oder eben nicht produzierte Stückzahlen. Ein Lizenznehmer sicherte sich
mit dem Erwerb einer Lizenz zunächst eine Option auf den neuen Motor. Solange er nicht in die

Serienproduktion einstieg, vermied er weitere Kosten und konnte das Ende der Wankel – Euphorie
in aller Ruhe abwarten. NSU ist auf dem Tiger geritten und die Branche schaute zu. Als
es zu Ende war, machte man weiter wie zuvor.

Es ist ein weit verbreiteter Irrglaube, große Technologiesprünge und Innovationsgeist hätten
einen unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit wirtschaftlichem Erfolg. Die Friedhöfe
der Technikgeschichte sind voll mit erstklassigen Produkten, die oft ihrer Zeit weit voraus waren.
Allein in der relativ jungen Computerbranche gibt es eine Fülle guter Hardware- und Softwareprodukte
oder auch ganzer Systemlösungen, die aus irgendwelchen Gründen am Markt nicht
durchgesetzt wurden und oft Ihre Herstellerfirmen mit ins wirtschaftliche Aus gerissen haben.
IBM, Intel, Microsoft, SAP, HP und andere haben gezeigt, dass es auf die Durchsetzung am
Markt ankommt, nicht auf die Innovationskraft. Die Akzeptanz der Käufer für ein Produkt ist in
gewissen Grenzen manipulierbar und das wird auch jeden Tag gemacht, auch davon lebt eine
ganze Branche. Würde sonst jemand einen Tintenstrahldrucker kaufen, der schon nach wenigen
Ersatzpatronen teurer ist als ein brauchbarer Farblaserdrucker? Wohl kaum.


Modellpflege

Welche Maßnahmen der Modellpflege hat denn nun VW / Audi als neuer Eigentümer von NSU
ergriffen, um den RO 80 am Markt attraktiv zu halten?

• Die Qualität der Beschichtungen an den Laufflächen der Mäntel, die Haltbarkeit der
Dichtsätze und die Wirksamkeit der Standdichtungen wurden eindeutig verbessert.
• Statt der höhenverstellbaren NSU – Sitze wurden einfachere Audi 100 Sitze verbaut.
• Die Qualität der Bleche während der Stahlkrise war wegen des hohen Kupferanteils teilweise
lausig, nicht nur bei VW / Audi. Der Rostfraß begann schon im Werk.
• Die aufwendige und sehr leise 2 – Rohranlage von Boysen wurde gegen eine billigere
und deutlich lautere 1 – Rohranlage ersetzt. Wer das bestreitet, muss zum Ohrenarzt.
• Es gab eine thermische Abgasnachbehandlung, dafür weniger Leistung, mehr Gewicht
und einen nicht näher bezifferten Mehrverbrauch.
• Dieter Korp berichtet von der Entfernung der Kombizange aus dem Bordwerkzeug, um
die Stückkosten zu senken. Sicher kein Durchbruch.
• Aus dem ehemals üppigen Dreiklanghorn wurde eine normale Hupe. Wohl nicht aus musikalischen
Gründen.
• Die Option Lederausstattung wurde gestrichen, zum Trost gab es jetzt VW – Lackfarben.
• Eine Klimaanlage und eine Zentralverriegelung wie bei der Konkurrenz gab es nicht.
• die aufwendige Doppelzündung wurde durch eine billige Einfachzündung ersetzt, freilich
erneut auf Kosten der Spritökonomie und der Leistung.
• Über die Qualität der optischen „Aufwertung“ mit Gummieinlagen in den Stoßfängern
und größeren Heckleuchten kann man streiten, sie entsprach wohl dem Zeitgeschmack.
• Eine zeitgemäße Motorisierung mit einer dem mittlerweile gestiegenen Fahrzeuggewicht
angemessenen Leistung war zwar fertig entwickelt, ging aber nur in Vorstandsfahrzeuge,
nicht in Serie.
• Also gab es auch keine zeitgemäße Bereifung, außer für die Vorstandsfahrzeuge.


Man kann also sagen, dass sich VW / Audi beim Thema Modellpflege des RO 80 nicht gerade
mit Ruhm bekleckert hat. Es schien die Meinung vorzuherrschen, wer einen RO 80 kauft, ist
selbst schuld. Ich denke, es war gar nicht das Ziel, einen attraktiven RO 80 im Programm zu
haben und damit am Markt erfolgreich Stückzahlen zu platzieren. Denn das hätte Fragen aufgeworfen,
deren Beantwortung Mut und Pioniergeist und die Bereitschaft zu erheblichen Veränderungen
erfordert hätten – nicht gerade die Stärke eines halbstaatlichen Konzerns, der im Wesentlichen
von einem Produkt gelebt hat, dem Käfer. Und solange genügend Käfer vom Band
liefen und der luftgekühlte Boxermotor sich sogar in anderen Fahrzeugen verkaufen ließ, gab es
keinen Veränderungsdruck.

Ein gutes Beispiel der reinen Kostendenke bei VW / Audi ist die späte „Entwicklung“ des etwa
130 PS starken KKM887 („Dicke Berta“), eines RO 80 – Motors mit von 67mm auf 73mm verbreiterten
Mänteln (und Läufern) und dafür etwas schmalerem Zwischenteil, damit er zwischen
den Kühler und das Getriebe des RO 80 passte. Der Serienanlauf war für das Produktionsjahr
1977 vorgesehen, verstärkte Getriebe wurden schon seit einiger Zeit eingebaut. Warum hat
man diesen Motor entwickelt, obwohl doch der EA871, ein weit modernerer Motor der dritten
Generation, schon fertig war? Weil man für die neue Geometrie des EA871 neue Produktionsanlagen
gebraucht hätte, insbesondere zum Schleifen der Mäntel. Der KKM887 hatte aber die
identische Schnittgeometrie des KKM612, er ließ sich also auf den gleichen, von NSU geerbten
und längst abgeschriebenen Maschinen fertigen.


Schon ein Bäckermeister weiß, dass er investieren muss, um auch
morgen noch seine Brötchen backen zu können. Sonst backen andere,
die investiert haben. Potentielle RO 80 – Käufer sind spätestens 1977
zur Konkurrenz gegangen, ausgenommen vielleicht ein paar Spinner
wie ich einer gewesen wäre, hätte sich mir diese Frage in einer anderen
Lebensphase gestellt. Wir wollen mal nicht verschweigen, dass ich mit
16 Jahren andere Interessen verfolgt habe, und die waren auch sehr
spannend!


Das Ziel war also, mit dem RO 80 ein Wankelfahrzeug im Programm zu halten,
um damit den Pflichten des Lizenzvertrages zu genügen und weiterhin von den
Lizenznehmern Lizenzgebühren zu kassieren, nichts weiter. Das brachte
offensichtlich mehr ein als eine nachhaltige Produktverbesserung. Hierbei muss
man fair bleiben und einräumen, dass VW / Audi die Lizenzverträge sozusagen
ebenfalls geerbt hat und nicht einfach nach eigenem Gusto umgestalten konnte. Dennoch: Wäre
NSU damals nicht in die Hände der „Fetten Tante“ in Wolfsburg gefallen, sondern
bei einem innovativeren, aber dennoch finanzkräftigen Unternehmen gelandet,
wer weiß, was daraus hätte werden können. Aber welches Unternehmen hätte
das damals sein können? Ich weiß es nicht.

Ich kann mich aber gut erinnern, dass der erste Renault Espace vor etwa 20 Jahren von der
gleichen Stuttgarter Autozeitung getestet wurde, in deren Kleinanzeigenteil ich meinen marathonblauen
RO 80 gefunden habe. Ich glaube, es war sogar das gleiche Heft. Das Resultat war
niederschmetternd für Renault: Niemand würde ein solches Auto brauchen, stand da schwarz
auf weiß. Weit gefehlt! 20 Jahre später hat fast jeder Großserienhersteller ein solches Auto im
Programm, auch Mercedes Benz und VW. Renault war offensichtlich die Definition und die
Durchsetzung einer neuen Fahrzeugklasse gelungen, auch gegen den Widerstand in der deutschen
Presse. Jahre später wurde dieser Erfolg mit dem Kompakt – Van nach gleichem Muster
wiederholt. VW zog erneut erst sehr spät nach. Dabei muss man sehen, dass gerade Volkswagen
aufgrund seiner Marktposition, seiner Stammkundschaft und seiner damit verbundenen
Definitionsmacht sicherlich die allerbesten Vorraussetzungen hätte, die man sich nur wünschen
kann, um einer neuen Technologie oder einer neuen Interpretation vom Automobil zum Durchbruch
zu verhelfen. Warum es beim Wankelmotor nicht geschah, wird Herr Piech wohl wissen.

Auf die häufig gestellte Frage, warum sich der Wankelmotor nicht durchgesetzt hat, gibt es zumindest
eine einfache Antwort: Weil er von niemanden durchgesetzt wurde! Es war einfach
niemand da, der die Überzeugung, den Mut, die Marktmacht und das Stehvermögen hatte, diese
Technologie für die breite Masse fertig zu entwickeln, professionell zu fertigen, die Käufer auf
das Produkt „geil“ zu machen und damit das Produkt am Markt einfach durchzusetzen. Wer einen
Camcorder, eine Digitalkamera oder einen DVD - Spieler besitzt, der weiß, dass ein Außenseiter
es allein nicht schaffen kann, einfach einen neuen Standard zu etablieren.

Ist das alles? Nein. Man muss sich nur die dreidimensionale Gasdichtung eines RO 80 – Motors
ansehen und sie mit der zweidimensionalen eines Ottomotors vergleichen. Die Gasdichtung
eines solchen Wankelmotors besteht aus vielen filigranen Einzelteilen, die aus teurem Material
mit hoher Präzision gefertigt und dann von Hand eingepasst werden müssen. Der Ausfall auch
nur eines einzigen dieser Teile führt unweigerlich zu Kompressionsverlust und ist der Anfang
vom Ende des Motors. Zudem erfordert der einwandfreie Lauf der Gasdichtung eine hohe Anzahl
präzise bearbeiteter und vergüteter Flächen im Motor, und das bei sehr komplizierter Geometrie.
Das spart zwar Material und Bauvolumen, treibt aber den Verbrauch an Gehirnschmalz,
Fertigungsgerät und Fertigungstiefe, Arbeitsgängen und Prüfzyklen und damit auch die Kosten
in die Höhe.

In den Block eines Ottomotors werden dagegen eine der Zylinderzahl entsprechende Anzahl
zylindrischer Laufbuchsen eingeschlagen - und fertig! Kolben, Wellen und Ventile sind einfache
Drehteile, die ebenso wie die einfachen Kolbenringe in hohen Stückzahlen billig herzustellen
und vollautomatisch zu montieren sind. Mit heutiger Produktionstechnik, also unter massivem
Einsatz von NC – gesteuerten Maschinen in der Teilebearbeitung und von Robotern in der
 Montagetechnik, ließe sich dieser Kostennachteil sicherlich teilweise wieder auffangen, aber der
technische Fortschritt bei den Herstellungstechnologien arbeitet auch für die Otto – Konkurrenz:
Bei gleicher Stückzahl ist ein Ottomotor trotz einer größeren Anzahl an Hauptteilen auch heute
noch erheblich billiger herzustellen als ein Wankel: Weniger Dichtteile, mehr Gleichteile, weitere
Maßtoleranzen, weniger Handgriffe und damit weniger Stationen für die automatisierte Montage,
geringere Investitionen, geringere Stückkosten.

Es war schon in den 60er Jahren bekannt, dass der Wankelmotor sich für den Betrieb mit Wasserstoff
sehr gut eignet, weil der kalte und der heiße Bogen räumlich voneinander getrennt sind.
Bei der ortsfesten Verbrennung im Ottomotor würde sich die Ladung schon an den heißen
 Einlassventilen entzünden. Wäre man damals zu der Erkenntnis gelangt, dass erst der Betrieb mit
Wasserstoff das ganze Potential des Wankelantriebs freilegt, hätte man außer den mächtigen
Großaktionären der Autoindustrie einen noch viel mächtigeren Gegner gehabt: Die Ölindustrie.
Warum aber sollte gerade diese reichste aller Branchen ihre gesamte Infrastruktur mit
Milliardeninvestitionen umbauen, wo doch das Benzin an den Zapfsäulen so gut lief und auch nach
der ersten Ölkrise jedes Jahr zweistellige Steigerungsraten abwarf? Dieser Brocken wäre auch
für VW nicht zu stemmen gewesen!

Nach der reinen Lehre der Kolbenmaschinen ist der Hauptvorteil des Wankelmotors seine Laufruhe
und sein enormes Drehvermögen. Erstere hat jeder Fahrer eines RO 80 gespürt, letzteres
wurde damals nicht ausgereizt, um die Anbauteile wie Vergaser, Wasserpumpe, Lichtmaschine
usw. aus dem normalen Zulieferprogramm beziehen zu können und nicht selbst neu entwickeln
zu müssen. Auch Mazda ist mit dem RX-8 eher den sicheren Weg gegangen, jedenfalls noch
lange nicht am Ende der erreichbaren Drehzahlen angelangt. (Ottomotoren von Honda drehen
trotz aufwendigen Ventiltriebs auch bis zu 10.000 U/min und erreichen dabei ahnsehnliche
Verbräuche und gute Standzeiten). Ein zukünftiges Wankelfahrzeug bräuchte demnach eigentlich
kein Getriebe mehr, ein guter Drehmomentwandler mit einer für das Anfahren und den
Stadtverkehr geeigneten Kennlinie würde reichen, wenn der Schlupf bei höheren Geschwindigkeiten
gegen null geht. Dies wäre die komplette Neuinterpretation eines Automobilantriebs, die
mich überzeugen würde. Der Platzbedarf wäre der eines besseren Dynamos mit Anbauteilen,
vielleicht je einer pro Achse oder sogar direkt an den Rädern. Das Abgas wäre so sauber, dass
der Begriff Abgas irreführend wäre. Aber zuerst kommt doch wohl die Brennstoffzelle, um endlich
den Wasserstoff salonfähig zu machen. Der Kaltverbrennung wird es an Temperament fehlen
– und genau dann könnte der Wankel zuschlagen. Vielleicht...

Der RO 80 steht als Monolith in der Automobilgeschichte. Für viele ein Irrweg, für manche ein
idealer Reisewagen, für wenige die einzige geniale Limousine. Er hatte keinen Vorgänger und
keinen Nachfolger. Ein Vorgänger hätte seine Wirkung nur verringert, ein Nachfolger war gar
nicht gewollt, denn die Industrie und ihre Eigentümer wollen Gewinne erwirtschaften, nicht etwa
das Automobil verbessern. Ein gutes Beispiel dafür ist die Einführung des G-Kat gegen den er
bitterten Widerstand der Hersteller durch den Gesetzgeber in den späten 80ern oder auch die
aktuelle Diskussion um die längst überfällige Einführung des Partikelfilters für Dieselfahrzeuge.
Nur der drohende Verlust von Marktanteilen an die Konkurrenz aus Frankreich ist ein wirksames
Motiv, endlich das Produkt zu verbessern. Wenn auch das nicht reicht, muss wohl wieder der
Gesetzgeber ran. Traurig, aber wahr.


Das Projekt „Bootsmotor“

Ein echtes NSU – Produkt ohne VAG – Teile ist der
bis 1971 gebaute Bootsmotor RO135 Marine. Angeblich
sind etwa 3.000 Stück dieser Motoren an Bootswerften
ausgeliefert worden, bis VW die Produktion
einstellen ließ. Die meisten liegen wahrscheinlich
irgendwo am Meeresgrund oder sind verschrottet
worden. Einen solchen Motor zu finden, ist nicht
leicht.

Man findet leichter einen gut erhaltenen oder sogar einen neu aufgebauten Mazda 13B Motor zu
einem günstigeren Preis. Aber doch nicht für einen RO 80!
 

 

 

 



Der RO135 Bootsmotor ist dem RO 80 – Motor im Prinzip baugleich, mit 3 kleinen aber feinen
Unterschieden:

• Die Doppelzündung mit engerer Anordnung der Zündkerzen im Mantel zündet die Gasladung
besser durch
• Die gegenüber dem Automotor deutlich größeren Einlasskanäle beseitigen einen Gutteil
des Flaschenhalses beim Gaswechsel mit Umfangseinlass
• der Zenith – Vergaser mit der langen Ansaugbrücke und den großen Drosselklappen
bringt eine bessere Zerstäubung als die Solex – Vergaser, paßt aber leider nicht in den
Motorraum des RO 80.

Ob er nun 135 PS hat oder nicht: Ein mit einem
 RO135 Motor motorisierter RO 80 ist spürbar agiler
und fahrdynamischer als ein Serienfahrzeug.
Die Ersatzteilversorgung ist nicht schlechter als bei
einem normalen RO 80, nur die Mäntel sind anders.
 Insbesondere die Fahrer der 871er und 887er
Versuchsmotoren werden das zu schätzen wissen.
Der RO 80 bereitet jetzt sogar einen gewissen
Fahrspaß, der auch aus der Motorleistung kommt
 – und das bei sinkendem Verbrauch. Steigerungen
sind noch möglich, denn das Potential für weitere
Versuche ist noch nicht ausgeschöpft. Wer einen
solchen RO 80 über längere Strecken bewegt hat, der kann schon mal am technischen Fortschritt
der letzten 30 Jahre zweifeln, wenn er wieder in seinem Alltagsfahrzeug sitzt. Und dabei
ist kein Teil eingebaut, das nicht auch schon von NSU verbaut worden ist. Die Mischung
macht´s. Trotzdem ist es kein Originalfahrzeug mehr, nichts für Puristen, ich weiß.


Die Wiederentdeckung der Laufkultur

Die Ferienresidenz am französischen Atlantik steht unweit von Arcachon in einem großen, duftenden
Pinienwald und ist locker bebaut. Die Chalets haben ausgedehnte Sonnenterassen aus
hiesigem Nadelholz, teilweise auf nivellierenden Betonstelzen in die hügelige Landschaft elegant
eingepasst, architektonisch gelungen und qualitativ hochwertig aufgebaut. Sie bringen geschmackvolle
Farbtupfer in die angenehme Kühle dieses ganztägigen Halbschattens. Wer jemals
hier einen Urlaub verbracht hat, soll wiederkommen. Wir haben Spätsommer 2003. Die
Luft ist unglaublich klar und von fern hört man bei völliger Windstille gelegentlich das Rauschen
des Meeres. Die schmale Straße zum Golfplatz ist auf 20 km/h begrenzt, sodass die Abrollgeräusche
der Reifen kaum hörbar sind. Hörbar sind dagegen die Motoren der nicht gerade billigsten
und ältesten Fahrzeuge, mit denen die Golfer unterwegs sind. Auch die modernsten Dieselfahrzeuge
brauchen die TDI, HDI oder CDI Embleme nicht. Man identifiziert sie noch immer am
nagelnden Klang und am beißenden Rußgestank. Eigentlich eine Zumutung. Es braucht mindestens
einen Achtzylinder Benziner, z.B. einen Land Rover, um der Laufruhe eines RO 80
schon bei diesen Drehzahlen gleichzukommen. Wo ist hier der Fortschritt geblieben? Wahrscheinlich
weiß auch der Herr Piech darauf keine Antwort.

In der Zeitung steht, dass der VW – Konzern wieder gutes Geld verdient, auch wenn der Phaeton
nicht so richtig eingeschlagen hat. Die Stückzahlen sind jedoch so gering, dass sie in der
Konzernbilanz kaum zu Buche schlagen. Vom neuen Audi A8 verspricht man sich mehr, hat
man doch 20 harte Jahre daran gearbeitet, das Audi – Image mit „Vorsprung durch Technik“
aufzupolieren. Hätte der Phaeton den von vielen erwarteten Wankelmotor bekommen, wäre sein
Misserfolg wohl dem Motor angelastet worden, oder?

Lizenzeinnahmen von Konkurrenten gibt es diesmal nicht! Dafür gab es jede Menge Subventionen
vom ehemaligen sächsischen „König Kurt“ für den Bau der „gläsernen Manufaktur“ in Dresden,
die eigens für den Phaeton gebaut wurde. Warten wir also ab, wie lange der Phaeton angeboten
wird, bis der Druck der Aktionäre auch seine Produktion beendet. Ich wage die Prognose,
er wird weder 10 Jahre noch 30.000 Exemplare schaffen. Vielleicht eine späte Genugtuung
für die ehemaligen Mitarbeiter von NSU, jedenfalls eine schallende Ohrfeige der Kundschaft für
die „eitlen Männer“ (Andreas Knie) im VW - Vorstand. Wenn schon nach 20 Jahren Imagepflege
für die Konzernmarke Audi und nach den ersten Erfolgen des A8 im Luxussegment ausgerechnet
ein „Volkswagen“ mit den ganz großen Limousinen dieser Welt ins Rennen gehen soll, dann
hätte man doch noch etwas tiefer in die Technikkiste des Konzerns greifen können
... aber wahrscheinlich war der Herr Piech hier wieder anderer Meinung.

Es ist mir egal. Wenn ich
wieder zuhause bin, werde
ich mich in den RO 80
setzen. Kaum kommt der
Schlüssel nur in die Nähe
des Zündschlosses, fängt
er schon an zu zuckeln.
Einmal rum – und sofort ist
er da! (Buchholz). Wir
werden eine Runde um die
Häuser drehen und durch den Schwarzwald gleiten. Ich fahre und der Wankel wird dazu singen.
Das Radio bleibt aus wie immer. Was kümmern uns die Wirrungen der Automobilgeschichte!


Text: Michael Grieme Bilder: Motor Presse, NSU, Georges Stoelen, Hannes Felzmann,
Thomas Sattler, Michael Grieme