Rasende RO´s - Eine Heimfahrt über Deutschlands Autobahnen

Vor uns lagen über 450 km

Noch beim Frühstück im Hotel sprach niemand von Raserei. Das Buffet war ordentlich, man
diskutierte mit Clubmitgliedern aus anderen Regionen über deren Fahrzeuge, Kompression,
Auspuffanlage, Verbrauch usw. Die am Vortag mit Spannung erwartete Hauptversammlung
war scheinbar schon fast vergessen.

Endlich ging es auf die Bahn. Vor uns lagen über 450 km von Mechernich - Kommern in der
Eiffel bis nach Freiburg. Es war ein milder Sonntagmorgen und wir waren früh dran.
Wahrscheinlich wenig Verkehr, also entschieden wir uns für die A61 über Koblenz, wohl
wissend, dass sie über weite Strecken mit Tempolimit 120 oder 130 beschränkt ist.

Mein marathonblauer ´76er mit dem NSU Ro135 Marine Motor war schon da, bevor der
Zündschlüssel überhaupt den Anschlag erreichte: WROOMM! Blaue Wölkchen an den
Endrohren zeugen von Standdichtungen älterer Bauart und sind leider normal. Je nachdem,
in welcher Stellung die Läufer die Nacht verbracht haben. Leerlauf stabil, Rundlauf passabel,
Motor nimmt spontan Gas an. Öllampe flackert leicht. Also brauchen wir noch etwas Öl. Ich
gehe noch einmal um den Wagen und kontrolliere die Reifen. Dabei der Geruch von noch
unverbranntem Benzin im Abgas, solange die Startautomatik ein zu fettes Gemisch liefert.

Zufrieden nehme ich ein leicht aggressives Röhren aus den original Boysen Töpfen wahr,
wie es der Bootsmotor mit der 2-Rohr Anlage liefert. Das berühmte „Wankelschnattern“ ist
zwar noch erkennbar, klingt aber etwas dunkler und sportlicher.

Alles ruhig

Mein Kollege Matthias (den Lesern des Clubforums als „Matthias vom Bodensee“ bekannt)
musste ein wenig „orgeln“, die hintere Kammer verliert etwas Kompression. Sein frisch
lackierter tibetoranger Ro80 steht auf Porsche Felgen mit 195er Reifen und macht rundum
eine gute Figur. Zum Warmwerden ließen wir uns langsam zum Zubringer gleiten. Kurz vor
der Autobahn nahm mir ein übermüdeter Aral - Pächter für einen Liter gewöhnlichen
Mineralschmierstoff ganze 11 Euro ab. Aber was soll´s: Die Öldosierpumpe ist ein
lebenswichtiges Organ für einen Ro80. Auf der Autobahn geht es zunächst gleichmäßig und
zügig voran. Niemals mehr als 20 km/h über der angegebenen Höchstgeschwindigkeit. Falls
es blitzt, kann man das gerade noch verantworten. Der Zeiger der Tankuhr bewegt sich
kaum vom Fleck, die Temperaturanzeige schon gar nicht. Gemächlich wie immer surrt der
Wankel vor sich hin. Alles ruhig.

Beim Überholen des Kollegen Matthias stelle ich fest, dass der Ro80 noch immer ein
schönes Auto ist. Seine Keilform legt sich elegant in den Fahrtwind. Aha, deshalb ist es also
auch bei 150 noch so leise im Auto, selbst bei geöffnetem Schiebedach. Die Lenkung
vermittelt einen wunderbaren Fahrbahnkontakt. Schnelle Spurwechsel machen Spaß, weil
sich das Fahrzeug leicht dabei neigt, trotz der härteren Eibach – Federn. Im Gegensatz zu
meinem Alltagswagen mit breiter 225er Bereifung folgt der Ro80 den Spurrillen nicht, die die
vielen 40-Tonner hier auf dem rechten Fahrstreifen hinterlassen haben.

Es kommt plötzlich Freude auf, dicht beieinander zu fahren, häufig die Spur zu wechseln, sich
gegenseitig zu überholen. Matthias spielt mit. Der Verkehr lässt das zu. Wir sind ein kleiner
Konvoi. Noch gleiten wir nur dahin. Aber es fängt an zu jucken, mehr Gas zu geben.

Auf den Frontscheiben mehren sich die Kleckse der aufgeschlagenen Insekten. Je schneller
man fährt, desto breiter werden sie scheinbar. Fotografieren durch die Scheibe wird immer
schwieriger, wie man an den Bildern sieht.

Tachonadel und der Drehzahlmesser steigen und steigen.

Mein Handy klingelt. Ich habe jetzt keine
Lust zum Telefonieren, außerdem ist es
verboten. Rasen ist dagegen noch erlaubt, zumindest streckenweise. Wir befinden uns plötzlich auf offener Strecke. Ich gehe aufs Gas. Schätzungsweise die letzten fünf Zentimeter Pedalweg. Die Tachonadel und der Drehzahlmesser steigen und steigen. Den Motor höre ich nicht mehr, aber das Getriebe fängt an zu jaulen. Wahrscheinlich ist es solche Anstrengungen nicht mehr gewohnt.

Die Windgeräusche nehmen zu. Das Schiebedach lässt sich jetzt kaum noch schließen.

Alles wieder sehr leise

Es kommt Fahrfreude auf, wie ich Sie auch als Vielfahrer selten erlebe. Hin und wieder reißt
der Unterdruck den Türrahmen der Fahrertür beim Überholen eines Reisebusses kurzzeitig
aus der Dichtung und es wird laut. Ich stelle fest, dass die Karosserie des Ro80 „nur“ für 180
km/h gebaut ist. Ich mache eine Testbremsung. Wunderbar spurtreu und kraftvoll verzögern
die Bremsen. Wir fahren jetzt wieder 120. Alles wieder sehr leise. (Die armen Kollegen aus
der Schweiz oder aus den Niederlanden kennen es gar nicht anders. Deshalb schwärmen
wahrscheinlich so viele von ihnen über ihre niedrigen Verbrauchswerte. Selten gibt mal einer
zu, seine gesamte kriminelle Energie zu mobilisieren und ein Stück zu rasen.) Ein Gefühl von
Unsicherheit mag aber selbst bei hohem Tempo nicht aufkommen. In einem Auto, das
nächsten Monat 30 Jahre alt wird!

Im Rückspiegel sehe ich jetzt wieder Matthias. Er kommt näher und deutet an, tanken zu
müssen. Der Rasthof Hockenheim liegt ja direkt vor uns. Da wir vom Nürburgring kommen,
passt das gut in die Stimmung. Wir fahren raus. Na gut, 60 Liter nachfassen ist heute Luxus.

Zur Bauzeit des Ro80 hat das schlappe 30 Mark gekostet. Der Chauffeur des 8m langen,
amerikanischen „Stretched“ Lincoln hinter mir muss sicher noch tiefer in die Tasche greifen.
So fahren wie wir kann er trotzdem nicht, der arme Kerl mit seinen weißen Handschuhen.

Eine kurze Sichtkontrolle im Motorraum muss sein: Alle Schläuche fest, kein Wasser- oder
Ölverlust, kein ungewöhnlicher Geruch, nur die übliche Hitze, die vom Motor abgestrahlt
wird. Die Endrohre innen glatt und grau. Alles im grünen Bereich. Noch 180 km bis Freiburg.

Wir sind entschlossen, an die Leistungsgrenze zu gehen

Mit nur wenigen Metern Abstand geht
es sofort auf die linke Spur. Man sollte so ein Blaulicht mit Saugnapf haben, das man für solche Fälle aufs Dach drücken kann. Haben wir leider nicht. Also wenigstens Licht an und
Dauerblinker nach links setzen.

Erstaunlich, wie die Leute höflich
rechts rüber gehen, wenn sie uns im
Rückspiegel heranrauschen sehen.

 

Wahrscheinlich wissen sie nicht, was da vorbeifährt: Jedenfalls zwei gleiche Limousinen mit viel zu
geringem Abstand jagen da hintereinander her.

Auf den Heckklappen steht nur Ro80. Nanu? Welche Marke soll das sein?

Überholmanöver

Ein Mercedes W123 Coupe schließt sich uns an und versucht mehrfach ein Überholmanöver.
Der Fahrer gibt dann schließlich auf. Als wir ihn vorbeilassen, grüßt er
freundlich und anerkennend. Ein neuer Ford Mondeo schafft es schließlich, uns mühsam zu
überholen. Wahrscheinlich hat er jetzt unterm Gaspedal eine Delle im Bodenblech, der
Korrosionsschutz platzt ab und nächstes Jahr bekommt er darin nasse Füße. Hauptsache,
der Fahrer ist stolz. Jedenfalls ahnt er nicht, mit seinem globalisierten Plastikbomber einen
ungleichen Kampf mit einem bald 40 jährigen Denkmal deutscher Industriegeschichte geführt
zu haben. So alt ist die Konstruktion der Ro80. Er weiß wohl noch nicht mal, wo die Keilform
seines Ford entwickelt wurde: Nicht in Köln, schon gar nicht in Detroit, sondern in Neckarsulm!

Kilometerlang die linke Spur versperrt

Dann die „Ungeduld“, weil uns eine neue Mercedes CLS Sportlimousine (wahrscheinlich
einer dieser Sonntagsfahrer mit Hut drin) kilometerlang die linke Spur versperrt. Einfach
rechts überholen und stehen lassen? Oder mit der Lichthupe nötigen? Ist beides verboten.
Was würde in ihm vorgehen? Wahrscheinlich würde er sofort die Polizei anrufen. Falls er
bereit wäre, dafür sein Sonntagskonzert aus der Hifi Anlage zu unterbrechen. Oder er spielt
am Navi und würde es gar nicht bemerken? Wohl eher letzteres.

Ich fahre jetzt vorweg und immer genau so schnell, dass Matthias im Windschatten bleibt. Er
„saugt mich an“, wie die Rennfahrer sagen. Auf diese Weise erreichen wir den höchsten
Schnitt. Nach einer Stunde erreichen wir die Abfahrt Freiburg Mitte. Für die gesamte Strecke
haben wir keine 3 Stunden gebraucht. Die Schleife zur B31 nehmen wir noch mal richtig flott,
sodass die Reifen quietschen und die Hinterachse zeigen kann, was sie leistet. Es ist fast
unmöglich, einen Ro80 aus der Bahn zu werfen. Dann tauchen wir leise in den Stadtverkehr
ein, als wäre nichts gewesen. Als es wieder mit 50 voran geht, glaubt man zu stehen. Das
war ein heißer Ritt! Zum Glück haben sie uns nicht erwischt, es hätte Folgen gehabt. Man
sollte an der nächsten Tanke noch eine Flasche Insekten – Entferner kaufen und damit den
Nachmittag verbringen, um alle Spuren zu verwischen.

Eine tiefe Verbeugung vor der Leistung der Ingenieure von NSU muss schon sein

Mir ist kein anderes Fahrzeug aus den 60er / 70er Jahren des letzten Jahrhunderts bekannt,
mit dem man heute so souverän auf der Autobahn unterwegs ist und dabei so wenig als
Oldie auffällt wie ein Ro80. Jeder kann das von außen sehen. Nur wenige können es selbst
„erfahren“, was noch deutlich mehr Spaß macht. Eine tiefe Verbeugung vor der Leistung der
Ingenieure von NSU muss schon sein. Und Hut ab!

TEXT: Michael Grieme      BILDER: Matthias Scherzinger, Michael Grieme